Hamburg. Gabriel Herlich legt Liebesgeschichte und Hamburgroman in einem vor. Hat der Held tatsächlich ein Faible für Hakenkreuze?

Der literarische Trend zur Wassermetaphorik wird, nun ja: verebben. Bis dahin staunen wir über die Beherztheit, mit der Buchcover und Buchinhalte derzeit das semantisch so ergiebige Thema „Schwimmen“ angehen. Der Hamburger Gabriel Herlich legt mit „Freischwimmer“ dabei einen Roman vor, der sich besonders nassforsch dem Sujet nähert.

Sein Held Donatus „Donnie“ Frey ist am Anfang nämlich Nichtschwimmer und außerdem ein hochwohlgeborener Loser, der aus allerbestem Stall (Winterhude-Villa!) stammt, aber vor lauter künstlerisch gestimmter Zartheit nie so recht Freunde findet und deshalb in seiner Studienzeit die nimmt, die er kriegen kann.

Bedauerlicherweise sind seine Buddys Marlon und Alwin, mit denen der angehende Maler im Grindelviertel in einer WG lebt, braune Gesellen. Und Donnie ist dumm genug, bei ihren „Streichen“ mitzumachen: Zum Beispiel Hakenkreuze in Autos zu ritzen. Ach, Donnie – was ist da denn los? Kann so einer Held eines Coming-of-Age-Romans sein? Sicher: Wenn man ihn so furchtlos und entschlossen wie der 1988 als Nachfahre von Holocaust-Überlebenden in Frankfurt geborene Autor Herlich auf entnazifizierenden Identitätsfindungstrip schickt. Ihn sich „freischwimmen“ lässt halt.

„Freischwimmer“: Stumpfe, falsche Nazi-Freunde

Damit Donnie den falschen Freunden entsagen kann, bedarf es allerdings eines love interests. Das ist in diesem Fall die tolle Meggie („Das schönste Mädchen Hamburgs“), die Donnie im Freibad in Dulsberg kennenlernt. „Freischwimmer“ ist fraglos ein Hamburgroman, der im Schnelldurchgang die Stadt und ihre Quartiere erkundet: Vor dem Zugriff des Staates, dessen Aufmerksamkeit Hakenkreuze und Sachbeschädigungen nicht entgehen, flüchten Donnie und seine Freunde in den Schrebergarten nach Groß Borstel. Aber nicht allein von dort flieht der in seinen Überzeugungen bald schon erschütterte Donny später dann gleich ganz aus Hamburg. Meggie ist nämlich Jüdin, und Donnie checkt mit einem Mal, wie stumpf seine Freunde doch sind.

Donnies Vater hat das schon lange: Er verabscheut seinen Sohn wegen dessen Umgangs mit den rechten Gesellen. In einem Roman, der auf jüngere Leserinnen und Leser zielt, dabei aber nicht ganz so charmant wie etwa Wolfgang Herrndorfs Genreklassiker „Tschick“ ist, sind wenig subtile erzählerische Mittel durchaus erlaubt. Frey senior ist der Erbe einer Kunstgalerie, außerdem Banker und ein Schnösel hoch zehn. Den 60. Geburtstag feiert er mit „Hamburger Senatoren, einer Schauspielerin, Universitätsprofessoren, Verlegern und Hedgefonds-Managern“ in der Familienvilla am Rondeelteich. Edler geht’s nicht, willkommen bei den Hamburg-Bonzen. Sohn Donnie („Holst du bitte den Rothschild aus dem Keller?“, „Den 58er, nicht den 60er.“) spielt auf Vaters Geheiß den Kellner.

„Freischwimmer“: Road Novel für den Geschichtsunterricht

Wer aus solch großbürgerlichen Verhältnissen auf den rechten Pfad gelangt, ist irgendwie auch selbst schuld. Aber mit den Motiven für die weltanschaulichen Verirrungen hält Gabriel Herlich sich nicht lange auf: Sein rasant erzählter Roman ist bald schon eine Road Novel und führt den verliebten Donnie über den Umweg von – der erste Schritt der Läuterung – staatlich aufgebrummten Sozialstunden im Seniorenheim in Ottensen nach Frankreich.

Dort treffen die Jüdin Meggie und der Natürlich-nicht-wirklich-Nazi Donnie auf einen Überlebenden der Shoah, der mit beider Familiengeschichte eng verbunden ist, wie sich erst nach und nach herausstellt. „Freischwimmer“ ist ein Roman über den Holocaust, jüdisches Leben nach 1945 in Europa und die Verstrickungen „arischer“ Geschäftsleute in das diebische gesellschaftliche Ausgrenzungsprogramm der Nazis – also wahrscheinlich auch gutes Anschauungsmaterial für den Geschichtsunterricht.

Die Schurken Alwin und Marlon haben auch noch mal ihren Auftritt, klar: Dies ist ein auf unmittelbare Emotionen beim Rezipienten zielender Roman, sprachlich sicher, um es mal so auszudrücken, nicht ultraambitioniert, aber deutlich, wenn er den Gefühlshaushalt des Helden beschreibt: „Die Wut hatte meine Nerven entzündet wie Kerosin.“