Dana Spiotta ergründet literarisch die Seelenzustände einer Frau in der Menopause. Ihre Lösung: Umziehen. Hilft das?
Kürzlich bekam die Autorin Annika Büsing im Hamburger Literaturhaus den Mara-Cassens-Preis. Für ihr erfrischendes Debüt „Nordstadt“, einen Schwimmbad-Roman. Gut für Büsing: Sie kann als Trendsetterin gelten. Was das Thema angeht. Und was das Buchcover angeht. Die „FAZ“ hat sich die Mühe gemacht, die „Titelbildmonotonie“ der aktuellen Literatursaison empirisch zu belegen. Tatsache, so viele Bücher mit Schwimm-Motiven! Wenn nicht inhaltlich, so doch zumindest auf dem Umschlag. Im März erscheint zum Beispiel „Wasserzeiten“, eine Hommage der Hamburgerin Kristine Bilkau ans Schwimmen.
Und schon jetzt ist Dana Spiottas neuer Roman „Unberechenbar“ zu haben. Jener insgesamt fünfte, nun ins Deutsche übersetzte Roman der US-Amerikanerin Spiotta, dessen Cover also die ästhetisch reizvolle Illustration einer Frau in Badeanzug zeigt. Aber aufgepasst: Ist eine reine Metapher. Die Frau befindet sich im Flug, auf dem Sprung; mutmaßlich in ein Schwimmbecken, jedenfalls in anderes Terrain als das, auf dem sie eben noch war.
Dana Spiotta: Ein „Coming-of-middle-Age-Roman“
Die Frau ist die in ein Symbolbild gesteckte Romanfigur Sam, mit der Spiotta, 1966 in New Jersey geboren, in „Unberechenbar“ (Originaltitel: „Wayward“) den entschiedensten Roman über die Mittellebenskrise einer Frau geschrieben hat, den man sich denken kann. Der Öffentlichkeitsabteilung des Verlags nennt das Buch einen „Coming-of-middle-age-Roman“, und das ist nicht schlecht gesagt. Wir setzen noch einen drauf und bezeichnen diese Geschichte über die Leiden der nicht mehr jungen Sam als den Menopausen-Roman schlechthin.
Um was es geht: Sam, 53, zieht um. In einen innenstädtischen Teil von Syracuse, der schon lange ein Problemviertel ist. Drogen, Gewalt, dieser ganze superurbane, superverdorbene Kram. Das Haus ist nicht im besten Zustand (schon wieder eine Metapher), aber Sam fühlt sich befreit. Sie hat ja auch eine Ehemann-Krise. Viel auszusetzen an ihm hat sie ja gar nicht. Er ist halt primär an seiner Fitness interessiert und an Proteinshakes, aber dabei sogar noch gut im Bett. Warum also meckern?
Die männliche Midlifecrisis ist literarisch längst durch
Nun, weil mit den Jahren der Wunsch nach Veränderung kommt. Das ist eine menschliche Urerfahrung. Sie wird vererbt, oder? Aber die wenigsten geben dem Drängen der Seele nach. Sam tut es, sie verlässt Mann und Tochter. Ally ist in diesem Mutter-Tochter-Stück der Gegenpart Sams, buchstäblich; sie nimmt es ihrer nun im Polizeisirenen-umtosten Ghetto, schlaflosen Mutter übel, dass sie ging. Und beantwortet deren Handynachrichten nicht mehr.
„Unberechenbar“ berichtet meistens aus der Sicht Sams von den alltäglichen, womöglich wiedererkennbaren Vorgängen – letzteres sicher vor allem, wenn man eine Frau ist. Als männlicher Leser ist der weibliche Standpunkt übrigens so herausfordernd wie erfrischend. Die männliche Midlifecrisis ist auch literarisch längst durch. Braucht kein Mensch, sowas.
Also, Sam, was treibt sie? Macht interessante, frauengruppenbewegte, aber nicht unverdächtige Bekanntschaften. Über das Internet, of course, und weil der Roman 2017 spielt, ist Trump ein Thema. Die Frauen haben sich gegen dessen Präsidentschaft zusammengetan und können gar nichts ausrichten, denn die Liberalen müssen halt jetzt erst mal alle leiden. Sam gleich mehrfach: Eine ihrer neuen Freundinnen schleppt sie zu einem Open-Mic-Abend. Und dann steht sie mit einem Male selbst auf der Bühne und gibt eruptiven, selbstmitleidigen Quatsch von sich. Leider ist ihre Tochter im Publikum.
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Eine Analyse des eigenen körperlichen Zerfalls
Sam ist brutal, smart, und sie hat den bösen Blick. Deswegen folgt man ihr so gerne in ihren Ausführungen, die akademisch werden, wenn sie, die in einer Art Heimatmuseum arbeitet, etwa über die Oneida Community nachdenkt. Eine Gemeinschaft, die im 19. Jahrhundert auch Frauen sexuelle Freiheiten zugestand. Aber besser wird’s noch, wenn Sam über Körper schreibt.
Nämlich gnadenlos biologisch bei der Analyse des eigenen Verfalls, des heruntergerockten weiblichen Körpers, es lässt sich ja leider nicht ändern. Das hier, Leute, heißt Menopause!
Und ganz grundsätzlich gnadenlos, aber auch gnadenvoll ist Sam beim Beurteilen im Fitnessstudio. Sie beobachtet die Trainierenden („Mehr denn je erschien ihr das alles wie eine originär amerikanische Form der Kurzsichtigkeit: dieses ungenierte – geradezu prahlerische – Pflege der eigenen Oberfläche“) und später, unter der Dusche, Mutter und Tochter, keine von ihnen jung. Hier noch ein paar Sätze, die den Stil und das Denken der Autorin demonstrieren: „In jungen, fitten Körpern steckt eine Lüge. Es liegt etwas Menschliches – Anrührendes – im gealterten Körper, in seiner aufrichtigen Beziehung zu Verfall und Zeit. Die nackten Körper dieser beiden Frauen verzauberten Sam. Zu sehen, zu betrachten, wie es tatsächlich war.“
Dana Spiotta: Mutterliebe hält alles zusammen
„Unberechenbar“ ist ein Text über das Verschwinden und deshalb ein Drei-Generationen-Stück. Auch Sams Mutter (und Allys Großmutter) spielt als dem Tode geweihte Frau am Endpunkt der menschlichen Biografie eine Rolle. Gleiches gilt für „Black Lives Matter“, als in Sams neuer Nachbarschaft ein Junge von einer Polizistin erschossen wird.
Was nach Kitsch klingt, kann bei Dana Spiotta, dieser so eminent interessanten und kompromisslosen Erzählerin nie welcher sein; aber es ist die mütterliche Liebe, die am Ende alles zusammenhält. „Unberechenbar“ ist, trotz des sanft harte Zeilen grundierenden Humors, ein Buch des Schmerzes. Sam macht sich keine Illusionen über ihre Sünden. Jahrelang spionierte sie helikopternd ihrer Tochter nach. Und dann bekommt sie es heimgezahlt.