Hamburg. An der Hamburgischen Staatsoper hat Puccinis dreiteiliges Werk “Il trittico“ Premiere gefeiert. Nicht alle überzeugte das Konzept.
Scusi, aber wer ist eigentlich diese Chiara de Tanti? Wikipedia kennt sie jedenfalls nicht. Doch glaubt man den Mitwirkenden der smart geflunkerten Kurz-Dokumentation, die Axel Ranisch realitätsnah zurechtfantasiert hatte, war sie eine geradezu romyschneidereske Diva mit einem Ego mindestens im Callas-Format: Von einem Kamera-Moment auf den anderen legendär geworden, die Karriere-Achterbahn mitsamt ihrem Liebesleben unangeschnallt durchgerast, um mit nur 43 Jahren und einem mit nur 16 ebenso mysteriös verstorbenen Sohn namens Alfonso tragisch verglüht zu sein.
Ein Lebenslauf, der glatt für drei italienische Opern genügt. Und damit war diese Hommage ein ziemlich idealer Handlungs-Rahmen, um drei italienische Opern, die so gar nichts miteinander zu tun haben, zueinanderfinden und am Ende als Trauma-Traum ineinanderlaufen zu lassen.
Puccinis vielschichtiger Dreier „Il trittico“ (die Erbschleicher-Satire „Gianni Schicchi“, das bittere Ehe-Drama „Il tabarro“ und das erschütternde Einzelschicksal „Suor Angelica“) ist dramaturgisch schon undankbar schwer in den Griff zu bekommen, wenn man nur jede Portion eigenständig betrachtet.
Staatsoper Hamburg: Puccinis Werke können das Herz in wenigen Takten in Stücke singen
Ranisch aber, mit einer Herzhälfte Filmemacher, mit der anderen glühender Opern-Nerd, ist dieses Kunst-Stück der Familienzusammenführung durchgängig geglückt, szenisch jedenfalls und dank des beeindruckend vielschichtig detailzeichnenden Dirigenten Giampaolo Bisanti auch orchestral.
Denn die Philharmoniker im Graben entdeckten im Verlauf des Premieren-Abends mehr und mehr ihre innere Italianità, wie schön, das mitzuerleben. Drei Farben Puccini also, als klug gesetzter Auftakt der Italienischen Opernwochen, vorbei an den üblichen Publikumslieblingen mit Akzeptanzgarantie.
Doch diese Neuproduktion an der Staatsoper – streikbedingt mit drei Tagen Verspätung zum Premieren-Publikum gekommen – zeigt, dass Puccinis Opern einem in wenigen Takten das Herz in Stücke singen können, sobald sie mit Intensität und Aufrichtigkeit ihre Dramen ausbreiten.
Ein grandioses Bühnenbild bildet die Kulisse
Der Diven-Trick, für den Ranisch etliche Bekannte (von Devid Striesow und Tom Tykwer über Rosa von Praunheim und Ursina Ladri bis Gustav Peter Wöhler) als Cameos eingespannt hatte, bildete die optische Ouvertüre für die Auftakt-Klamotte.
Bei diesem „Schicchi“ waren Ähnlichkeiten zu Sitcom-Klassikern wie Al Bundys „Schrecklich netter Familie“ durchaus beabsichtigt, durchgepaust bis in den Wohnzimmer-plus-Sofa-Zuschnitt, das erste von drei grandiosen Bühnenbild-Konzepten von Falko Herold.
Dieser Plot ist schnell erzählt und wurde vom Ensemble, das teilweise später wiederkehren würde, allerdings auch nur passabel überwältigend gesungen. Die Erbschleicher-Sippe brauchte – anders als bei Puccini vorgesehen – mehrere Anläufe, um den reichen Clan-Opa zuverlässig ins Jenseits zu befördern.
Bei "O mio babbino caro" ist kurz Zeit zum Durchatmen
Hier hatte Chiara de Tanti – ebenfalls originell statt original – ihre ersten zehn Sekunden Ruhm: als noch stumme Nonnen-Kleindarstellerin, deren Liebesgeschichte oberhalb der „Schicchi“-Bühne stumm weiterlief, während eine Etage tiefer die erbgeilen Leichenfledderer durch besagten Schicchi ausgetrickst wurden.
Das Stück ist nun mal, was es ist; Ranisch ließ das Personal dort also fröhlich durcheinander knallchargieren. Lediglich für den Hit-Schmachter „O mio babbino caro“, von Narea Son solide gesungen, wurde kurz Atempause beim Pointen-Dauerfeuer eingelegt.
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Ganz anders und dennoch als das nächste Chiara-Karrierekapitel gelang „Il tabarro“. Eben noch gab es RTL2-Nachmittags-Zeugs auf Koks, jetzt Programmkino auf ARTE. Die Dreiecks-Tragödie unter Pariser Flussschiffern, Ranisch zeigte sie mit dem verfinsterten Ernst des neorealistischen Films alter italienischer Schule.
Ranisch nutzt Film im Film als verbindende Meta-Ebene
Das zuvor eher grobkörnige Orchester war wie ausgewechselt. Feinfühlig und dezent wurden die Nuancen ausgereizt, ohne Nachdruck, mit Empathie für die Szenenzeichnung. Auf der Bühne, vor dramatisch vernebelter Hafenkulisse, zerbrach die ohnehin kaputte Ehe von Michele (Roberto Frontali, eben noch Schicchi, jetzt der aus seinem Herzen blutende Gatte) und Giorgetta endgültig.
Das gemeinsame Kind war tot, die Beziehung starb nun auch, vor ihren Augen. Hörenswert war Najmiddin Mavlyanov als zweiter Trennungsgrund Luigi. Elena Guseva versprach hier an Tragödinnen-Kraft, was sie einen Akt später, als von ihrer Adelsfamilie verstoßene Nonne mit selbstmörderischen Kräuterkenntnissen, halten sollte.
Und auch bei „Suor Angelica“ blieb Ranisch seinem Faible für Filmisches als verbindende Meta-Ebene treu. Keine Klostermauern, keine Nonnen-Tracht, bis auf ein einziges Kostüm am Rand. Gezeigt wird stattdessen, als letzte Dekonstruktion, ein entstehender Film im Film, das Nonnen-Drama als Durchlaufprobe mit den Textbüchern in der Hand und einer aufmerksamen Regisseurin direkt neben dieser Spielfläche.
Puccini-Premiere in Hamburg: Stör-Rufer protestieren gegen Konzept
Mehr und mehr trudelt die Realität ins Imaginierte, Hitchcocks Therapie-Kandidaten lassen grüßen. Und hier passiert es dann, während die Nonne vom Tod ihres Sohns erfährt (und Ranisch ihn zurückspiegelt auf Chiara de Tantis Vita), während sie von Grabkreuzen umringt nach Fassung ringt und Halt im Haltlosen.
Wer wissen will, wie laut es leise es sein kann, wenn knapp 1700 Menschen vor einer Opernbühne die Luft anhalten vor Spannung? Im zweiten Teil dieser „Suor Angelica“-Version ist das erfahrbar. Die vereinzelten Stör-Rufer, die im Mittelteil des Abends plump gegen das Konzept protestiert hatten, meldeten sich wieder, als das Ensemble sich den verdienten Applaus abholte. Der finalen Wucht der Inszenierung nimmt dieses Nölen nichts.
Weitere Termine: 18. / 21. / 24. /28. / 31.3., 8.4. Infos: www.staatsoper-hamburg.de