Salzburg. Die Sopranistin Asmik Grigorian ist bei den Salzburger Festspielen strahlender Mittelpunkt in Puccinis „Il Trittico“-Einaktern.
Ins Herz getroffen, dreimal hintereinander, tief ins Schwarze, immer wieder aus anderen Richtungen und aus anderen dramatischen Beweggründen. Nicht das schlechteste Ergebnis eines einzigen Premierenabends.
Dass Puccinis Publikumslieblinge bei den Salzburger Festspielen zum Markenkern des Opern-Sortiments gehören würden, lässt sich eher nicht behaupten. Doch nachdem die kompromisslos lodernde Sopranistin Asmik Grigorian mit ihrer sensationellen „Salome“ 2018 senkrecht durch die Karriere-Decke ging und 2020 als Chrysothemis in der „Elektra“ nachlegte, bekam sie nun die Gelegenheit, in gleich drei seiner seltener gespielten Opern hintereinander weitere Facetten ihrer enorm intensiven Gestaltungs- und Verkörperungskunst zu zeigen.
Asmik Grigorian bei den Salzburger Festspielen in „Il Trittico“
Fürs geradlinige, filmisch klare Erzählen der drei eigenständigen Geschichten, bei dem bittschön nichts und niemand den Flow mit anstrengendem Deutungsklimbim stören sollte, erwies sich Christof Loy als der genau richtige Regisseur fürs Offensichtliche.
Zur Wirkungsmaximierung hat er die reguläre Reihenfolge der drei Einakter geändert, nicht mit „Il Tabarro“ beginnend und mit „Suor Angelica“ als finsterem Finale hinter Klostermauern melodramatisch endend. Wie punktgenau Loy Figurenkonstellationen und -Reifungen ohne ständige Kulissenschieberei darstellen kann, hatte seine straff auf Wesentliches reduzierte „Così fan tutte“-Durchleuchtung im Corona-Sommer 2020 gezeigt.
Was Loy jetzt auf der – eigentlich immer für alles zu großen – Bühne des Großen Festspielhauses lieferte, die er mit Seitenwänden verkleinerte und vereinheitlicht hatte, war wie bestellt: drei Präsentierteller, prächtig angerichtet, aber nicht überladen.
Vor allem natürlich für seinen Mehrfach-Star Asmik Grigorian, aber auch für ihre Begleit-Herren in tragenden Haupt- und Nebenrollen. Weil sich ihr Part – da wäre selbst mit größten dramaturgischen Verrenkungen nichts zu machen – in der Erbschleicher-Farce „Gianni Schicchi“ hauptsächlich aufs Nettaussehen und den Puccini-Schlager „O mio babbino caro“ beschränkt, gönnte Loy sich und dem Publikum den Spaß einer überdrehten Buffo-Sause auf RTL-Vorabendserien-Niveau um diese wenigen Minuten herum: Der frisch verblichene Sippen-Patriarch liegt im Prunkbett und die lieben Verwandten greinen im Palazzo scheinheilig in ihre Pasta-Teller, bis sie auf die perfide Idee kommen, sich ein noch sprechfähiges Double für den kalten Alten zu organisieren, um das für sie dramatisch ungünstige Testament vom Notar ändern zu lassen. Klappt natürlich nicht, weil dieser Gianni Schicchi, die Gunst des Moments und die blinde Gier der anderen dreist ausnutzend, sich selbst zum Alleinerben ernennt. So weit, so harmlos. Wäre da nicht der kurze, beeindruckende Auftritt Grigorians als One-Hit-Wonder Lauretta Schicchi.
Man hört die Vertrautheit mit dem Orchester und Dirigent Welser-Möst
Das macht sie ganz allerliebst und ernst und groß im Kleinen, noch ungetrübt von Schicksals-Tiefschlägen, die in „Il Tabarro“ und erst recht in „Suor Angelica“ auf sie warten. Und wäre auch nicht bereits jetzt schon dieser wunderbare, vielschichtige, klug und einfühlsame begleitende Orchester-Teppich, den ihr die Wiener Philharmoniker unter Leitung von Franz Welser-Möst ausrollten, in drei passend unterschiedlichen Charakter-Ausprägungen. Sie waren es, die Grigorian als „Salome“-Darstellung für den radikalen Höhenflug die tragendende, tönende Luft unter die Flügel spielten; diese Vertrautheit, diesen liebevollen Umgang miteinander hörte man jetzt wieder.
Welser-Möst liest schon hier – es wird noch viel besser werden – jedem Ensemblemitglied auf der Bühne jeden Timingwunsch von den Lippen ab und machte aus der „Schicchi“-Einleitung ein Stückchen Boulevard-Musik, die in ihrer süffigen Geschmeidigkeit Modell für Bernsteins Musiktheater-Genieeinfälle stand. Während Grigorian also noch Anlauf in „ihre“ Dreier-Premiere nehmen konnte, sang und spielte sich Misha Kiria als ihr babbino kernig in den Mittelpunkt. Erster Vorhang, erster Jubel. Danach war Schluss mit lustig.
Dreiecks-Drama in „Il Tabarro“
Ein Filmset folgte, mit klapprigem Schifferkahn am Seine-Ufer für ganz Begriffsstutzige und naturalistischer Tristesse, die sich wie lähmender Bodennebel über das Dreiecks-Drama in „Il Tabarro“ legt. Giorgetta und der Frachtkahn-Kapitän Michele (satt orgelnd: Roman Burdenko) haben zunächst ihr Kind und dann ihre Liebe füreinander verloren.
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Grigorian, jetzt mit dauergewellter Blondinen-Perücke und wie aus einem Pasolini-Drehbuch entflohen, ist um einige Jahre und viele zertrümmerte Hoffnungen gealtert, ihre Körpersprache erzählt von Einsamkeit und Verzweiflung. Schon bevor sie das Wort „Sehnsucht“ tatsächlich singt, ist es unüberhörbar bedrückend und übermächtig. Ihre Affäre mit Luigi (dunkel-kräftig: Joshua Guerrero) endet, wie es sich für solche Opern-Tragödien gehört: damit, dass mindestens einer stirbt und niemand danach weiterleben möchte. Zweiter Vorhang, noch mehr Jubel.
"Suor Angelica" – Asmik Grigorian nun als gefallene Fürstin
Und wir sehen einen schlichten Klostersaal, Kräutergärtlein. Grigorian nun als gefallene Fürstin, als genügsame, schicksalsergebene Nonne. Der Vulkan in ihr bricht aus, als ihre Vergangenheit unvermittelt zur Gegenwart und ihr Sohn erwähnt wird, den sie nie aufwachsen sehen durfte und der offenbar schon vor Jahren gestorben ist.
Loy lässt ihr einen Koffer mit Reliquien aus dieser Zeit geben, einen Teddy, seine und ihre weltliche Kleidung. Grigorian verwandelt sich zurück, raucht die vielleicht erste, aber auf jeden Fall letzte Zigarette ihres Lebens, weil sie sich mit Pflanzengift aus ihrem Gärtchen ins Jenseits flüchten will, in die Arme ihres Söhnchens – der prompt durch die Tür kommt.
Was geschrieben mehr als nur leicht käsig wirkt, wurde bei Grigorian zum großen Finale einer zerbrochenen Mutterseele. Man muss ihr jeden Ton, jede Nuance glauben, die sie singt, mitfühlt und durchleidet. Letzter Vorhang, tosender Jubel.
Online: „Il Trittico“ ist als Stream abrufbar. CD: Asmik Grigorian „Rachmaninow: Dissonance“ (alpha, 16 Euro). DVD: Strauss „Salome“ (Salzburger Festspiele 2018, Unitel, ca. 21 Euro). Konzert: 23. März 2023: Schostakowitsch 14. Sinfonie, mit der Dt. Kammerphilharmonie Bremen und Matthias Goerne (Bariton). Elbphilharmonie, Gr. Saal.