Meryl Streep, Toby Maguire, Edward Norton und der Klimawandel: Bezos kommt nicht gut weg, Schätzing erblasst vor Neid.

„Extrapolation“ ist das englische Wort für Hochrechnung. Und „Extrapolations“ die neue, ab 17. März verfügbare Renommierserie des US-Streamingdienstes Apple TV, eine im besseren Fall mit den Mitteln der Fiktion arbeitende achtteilige Erzählung über den Klimawandel und seine Folgen. Hochgerechnet – zu Beginn jeder Folge wird die graduelle Erderwärmung notiert – wird der Effekt, den ein aufgeheizter Planet auf die Menschheit hat.

In nicht allzu ferner Zukunft und unter der Prämisse, dass die Menschen ihre Gewohnheiten nicht ändern. Ein Horror-Szenario: Die von Regisseur und Autor Scott Z. Burns („Contagion“) verantwortete Serie dekliniert in einer Mischung aus Panik-Futurismus und Überlebenskampf-Thriller all das durch, was uns laut Wissenschaft blüht.

Monsterstürme, die Miami an einem von vier Tagen unter Wasser setzen. Ein Artensterben ohnegleichen. Buschfeuer. Wetter ist nicht nur einfach Wetter; an manchen Tagen kann man erst nach Sonnenuntergang raus. Die Luftqualität ist so mies, dass man nicht nur mit Masken, sondern auch mit Sauerstoffgeräten das Haus verlässt.

„Extrapolations“: Jede Folge funktioniert als eigene Erzählung

Fast jede Folge funktioniert in dieser Serie, deren Design und Besetzung man das von Apple bisher nicht spezifizierte Riesenbudget in jeder einzelnen Szene ansieht, als eigenständige Erzählung. In Folge eins, die 2037 spielt, geht es um das Geschäft mit dem und gegen das Klima. Wo früher Eis war, konkurrieren Amerikaner und Chinesen um die Lizenz zum Vergnügungsparkbauen.

Technikunternehmer wie Nicholas Bilton (Kit Harington, „Game of Thrones“) haben in einer Welt, in der der globale Süden kein Trinkwasser mehr hat, mit Entsalzungspatenten den Schlüssel zu Macht und Reichtum in ihrer Hand. Keine Dystopie ohne ein Mindestmaß an Lust auf Sci-Fi-Technik: Glaubt man dem ohnehin nicht Klischee-freien Realitätsmodell von „Extrapolations“, sind schon in knapp 15 Jahren Hologramme das große Ding, und praktisch jede Oberfläche ist ein mögliches Display für das, was der Computer ausspuckt. Mit Künstlicher Intelligenz, die hundertmal smarter als Alexa ist, spricht man sowieso in einem fort.

Helfen tut’s nicht, schon in Folge zwei, sie spielt 2046, steht mit der Biologin Rebecca Shearer (Sienna Miller), die bereits in der ersten Folge auftauchte, eine Forscherin im Mittelpunkt, die Mutter eines Sohnes mit der Diagnose „Summer Heart“ ist.

Aufgrund des körperlichen Klimastresses im zweiten Trimester der Schwangerschaft hat das Kind einen schweren, lebensbedrohlichen Herzfehler. Seine Mutter forscht übrigens zum Thema Artensterben. Im Ozean beschallt sie den letzten lebenden Wal mit Mahler und spricht via Walgesangsübersetzungsprogramm und Stimmenavatar mit ihm.

Frank Schätzing muss vor Neid erblassen

Wo wir schon beim Wal sind: Ein natürlich völlig unpassender Vergleich (hey, Hollywood!) mit dem auch dank erstaunlichen Negativ-Framings seitens des Autors der Romanvorlage versenkten ZDF-Highlight „Der Schwarm“ liegt nahe. Als Ökothriller, der es schafft, als gar nicht subtiles, engagiertes Klimawandel-Fernsehen maximal unterhaltsam zu sein, indem er Familiendrama, Eskapismus-Kammerspiel und Katastrophenszenario in packenden Bildern und Szenen mischt, schlägt „Extrapolations“ den „Schwarm“ um Längen.

Wobei da neben Plotgewichtung und Drehbüchern (mit an Bord: Dystopie-Spezialist Dave Eggers) auch der Cast keine geringe Rolle spielt. Dies ist lediglich eine Auswahl der Schauspielerinnen und Schauspieler, die in „Extrapolations“ ihren Auftritt haben: Meryl Streep, Edward Norton, Toby Maguire, Tahar Rachim („Ein Prophet“), Marion Cotillard, Keri Russell („The Americans“), Forest Whitaker. Frank Schätzung muss vor Neid erblassen.

Wenn Matthew Rhys als Gier-Investor mit Ultraweißgebiss durch die Szenerie stapft, versprüht das neben dem Grusel-Faktor hinsichtlich der blinden Skrupellosigkeit auch einen Hauch von Komik. Gar nicht komisch ist die Message, die diese mit hohen Standards ins Werk gesetzte, zugespitzte Erzählung von den nächsten, tragischen Tagen der Menschheit (die Serie endet im Jahr 2070) aussendet: Es wird nicht gut mit uns enden. Vielleicht hilft am Ende doch nur, wenn wir uns alle wegdigitalisieren, um den Planeten nicht mehr auszubeuten.

„Extrapolations“: Die Frage nach der Verantwortung

Man ist geneigt, als Betrachter mit den Eliten in dieser Serie zu sympathisieren, wenn sie wie die Unternehmerin Gita Mishra (Indira Varma) vorgehen, deren nächste Produktlinie nachhaltig und unbemannt fliegende Flugzeuge sind.

Was diese Frau plant, um mit Klima-Engineering den Planeten zu retten, lässt selbst die radikalen Klimaaktivisten dieser Tage wie Kindergeburtstags-Animateure aussehen. „Extrapolations“ stellt die Frage nach Verantwortung für die Misere – bestraft Gott die Menschheit? – und verdichtet diese in der vielleicht besten Folge zum gnadenlosen Generationenkonflikt.

Die Jugend der Welt im Rache-Modus: Das zeigt sich in Ansätzen bereits in der echten Welt. (Wenn diese Jugend konsequent ist, wird sie im übrigen bald schon mit Vehemenz nach dem ökologischen Fußabdruck fragen, den die Produktions- und Superstar-mit Privatflugzeug-Maschine Hollywood in Zukunft noch zu hinterlassen gedenkt.)

„Extrapolations“ ist insgesamt anspruchsvolles, gut gespieltes und überwältigendes Motivationsfernsehen, das durchaus auch Adressaten in einflussreichen Kreisen hat. 2059, als der Planet Erde längst am Verdampfen ist, bleibt den Überlebenskämpfern, die zwar den Krebs besiegt haben, aber manche Tiere nur noch vom Hörensagen kennen, nur Spott für Jeff Bezos und Co.: Man habe alle Kraft dafür vergeudet, Raketen ins All zu schießen. Statt etwas für die Erde zu tun.