Hamburg. Was macht den Nachtjargon bei „Luden – Könige der Reeperbahn“ aus und wie lernt man den? Man muss den Richtigen fragen – in Mexiko.
Wenn „ein Lude Bambule macht“, dann solle man gleiche „die Schmiere rufen“, weist der Elbschlosswirt seine Tresenkraft Klaus Barkowsky an. Der fühlt sich in der jetzt auf Amazon verfügbaren Serie „Luden – Könige der Reeperbahn“ zu viel Höherem berufen, als verhaltensauffällige Gäste in die Schranken zu weisen. Er will selbst einer von ihnen sein! „Wir ham Connegge, der Kiez gehört uns“, behauptet der „schöne Klaus“ schon früh.
Zum Zeitkolorit des in den 80ern angesiedelten Sechsteilers gehört auch die verbale PR-Offensive der Varieté-Betreiberin: „Wir sind kein Bumslokal, wir machen hier Kabarett.“ Damit die Leute in „Luden“ so sprechen, wie sie sprechen, so unverkennbar in einem ganz besonderen Reeperbahn-Slang, holten sich die Serienmacher Hilfe bei Tino Hanekamp. Dessen Expertise ist seit seinem St.-Pauli-Roman „So was von da“ belegt.
Wir haben beim Abspann von „Luden – Könige der Reeperbahn“ genau aufgepasst. Da taucht irgendwann der Name Tino Hanekamp auf, in der Funktion des „Dialect Polishers“. Was ist das denn, und wie kam es dazu?
Tino Hanekamp: Das ist einer, der in die Dialoge im Drehbuch den Dialekt reinpoliert, den die Figuren in der Welt, die da dargestellt wird, sprechen würden. Und das kam so, dass die Regisseurin Laura Lackmann jemanden suchte, der das macht, und mein Freund, der Video-Regisseur Timo Schierhorn, empfahl ihr mich, weil der Zuhälter in meinem ersten und bisher einzigen Roman so schön im Kiez-Slang geredet hat. Ich habe dann sofort zugesagt, weil ich diesen Kiez-Slang liebe, gerne Dialoge schreibe, die Drehbücher toll fand und die Arbeit nicht anstrengend, dafür aber angenehm bezahlt war.
Sie haben also im Drehbuch auf die Gestaltung der Dialoge eingewirkt. Wie redet man denn auf dem Kiez so? Und ist das einmalig in Deutschland?
Tino Hanekamp: Wie man heute auf dem Kiez redet, weiß ich nicht, da müssten Sie mal gucken, ich war da schon lange nicht mehr. Aber damals — die Serie spielt ja in den Achtzigern — hatten die einen ganz eigenen Schnack, eine Art Sondersprache, die es so nur auf St. Pauli gab, mit ganz eigenen Wörtern und Begriffen. Diese Sprache, auch Nachtjargon genannt, war sozusagen der Slang des Milieus und eine Art Geheimsprache — Außenstehende haben oft gar nicht begriffen, wovon die Typen da reden. Und so sollte das auch sein. Deswegen entstand der Nachtjargon, aus St. Pauli und diesem merkwürdigen Milieu heraus, über die Jahrzehnte, bis er in den Neunzigern langsam verloren ging, heute sprechen diesen Schnack sicher nur noch ein paar überlebende Alt-St.-Paulianer.
Schon lustig, dass ein gebürtiger Sachsen-Anhaltiner, immerhin mit weithin verbürgter St.-Pauli-Vergangenheit, nun quasi Hamburg-Slang unterrichtet.
Tino Hanekamp: Eine einzige Anmaßung, aber es war Sommer und ich brauchte das Geld. Außerdem hat’s Spaß gemacht. Ich liebe diesen Schnack — endlich konnte ich mich da mal richtig austoben. Aber vorher musste ich das natürlich auch erstmal alles lernen, und da gibt es zum Glück ein Buch, da steht alles drin: ‚Hamburgs ’Nachtjargon‘’ heißt das, von Klaus Siewert. Der hat diese Sprache über Jahre erforscht und festgehalten, nach ihm sollte man auf St. Pauli mindestens die ein oder andere Seitenstraße benennen. Dank Herrn Siewerts Buch und meinem Faible für Dialoge war die Sache dann ein Kinderspiel. Und jetzt ist dieses Nachtjargon ein bisschen in der Serie konserviert, und dass ich dabei helfen durfte, freut mich. Man müsste jetzt natürlich Herrn Siewert fragen, ob das alles so ok ist…
Was sind denn Ihre Favoriten im alten Reeperbahn-Vokabular?
Tino Hanekamp: Der Schampus heißt „Kapitalistenbrause“, ein Geldbündel „Knödel“. In mein Best of gehören auch die Begriffe „Lampenbraut“ für eine Frau, die zur Polizei geht und „Nahkampfdiele“ für ein schlechtes Lokal. „Rumkaminen“ heißt Scheiße erzählen, ein „Bellmann“ ist eine Pistole.
Sind Sie mit der Reeperbahn, ihren Sozialfiguren und ihrem Mythos, seit Ihrem Buch, das ich jetzt einfach mal einen Kultroman nennen will, eigentlich komplett durch?
Tino Hanekamp: Glaube schon. Im Moment bin ich auf jeden Fall ganz woanders. Ich bin auch nicht sonderlich nostalgisch veranlagt. Aber wenn irgendwer ein paar fetzige Kiez-Kapaiken-Dialoge für irgendeine irre Räuberpistole braucht — immer her damit! Verbuche ich unter Heimaturlaub.
Haben Sie Klaus Barkowsky eigentlich mal getroffen?
Tino Hanekamp: Nee, nicht dass ich wüsste.
Im letzten Jahr waren Sie, der Wahl-Amigo, mal wieder in Hamburg und hatten einen Auftritt auf einem Alsterfloß. Man hört aber, das Leben kommt Ihrer Kunst immer noch reichlich in die Quere. Erzählen Sie.
Tino Hanekamp: Wo soll ich anfangen? Es ist alles ein einziges Abenteuer. Ich lebe hier im Süden Mexikos auf einer überwucherten Farm in der Pampa mit meiner Frau, einer Mischung aus Pocahontas und Marilyn Monroe, und meinem Sohn, so ’ner Art modernem Mogli. Wir haben zwei Esel, einen alten türkisfarbenen Jeep, keine Anschrift und keinerlei Versicherungen, aber das schönste Zuhause der Welt. Unser Familienmotto lautet: If we survive. Es ist auf jeden Fall immer was los.
Ausweislich Ihres sehr erfolgreichen Buchs sind Sie ein genuiner Schriftsteller. Allerdings behaupten Sie immer, Sie seien es nicht. Warum das?
Tino Hanekamp: Schriftsteller bin ich nicht, Autor schon. Weil mein erster und bisher einziger Roman vor zwölf Jahren erschienen ist, und Schriftsteller, glaube ich, regelmäßig Bücher schreiben. Ich nicht. Obwohl ich’s wirklich langsam mal müsste, der Vorschuss ist seit Ewigkeiten verballert, und mein Verlag wartet seit zehn Jahren! Meine Ausrede ist, dass ich zu sehr mit Leben beschäftigt bin, um das Buch zu schreiben, das ich gerne schreiben würde, also sammle ich weiter Stoff und warte, bis es soweit ist.
Kann man Autor tatsächlich nur sein, wenn man sein Leben an die Literatur verschwenden will, wenn man ohne Schreibmöglichkeit eine Leerstelle empfinden würde?
Tino Hanekamp: Weiß ich nicht, da gibt es bestimmt viele Modelle. Aber die Leerstelle hilft sicherlich, den nötigen Antrieb aufzubringen, denn gutes schriftstellerisches Schrieben ist bekanntlich eine ganz schöne Plackerei, für die man so einiges aufgeben muss, zum Beispiel sein Sozialleben und irgendwelchen Abenteuer, die einen von der Arbeit ablenken. In meinem Fall sind das aber alles nur Ausreden. Ich glaube, ich will’s einfach nicht doll genug. Vielleicht ändert sich das aber auch gerade. Ich verspüre da so eine ganz leichte Abenteuerermüdung...
Als Auftragsarbeiter sind Sie gut gebucht, auch von Ihrem Stammverlag Kiwi. Ich bin sicher, der wird von Ihnen trotz mexikanischen Abenteurerlebens demnächst einen Roman verlegen – vielleicht genau über dieses. Habe ich Recht?
Tino Hanekamp: ‚Demnächst‘ ist eine sehr dehnbare Zeitangabe, aber ja, wahrscheinlich haben Sie Recht, und über was anderes als mein mexikanisches Abenteuerleben kann ich gar nicht schreiben, ich bin nämlich sehr schlecht im Ausdenken, und alles vor meinem mexikanischen Abenteuerleben interessiert mich nicht, ich hab’s ja auch schon mal versucht, nur meinte da mein Lektor, der geduldigste Mensch der Welt, ständig: Tino, das musst du zurückfahren, das glaubt dir kein Schwein. Ich stecke da irgendwie in so einer Art Zwickmühle. Es ist aber auch nicht dramatisch. Es gibt ja genug gute Bücher.
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Ihr Sohn ist sechs Jahre alt. Welche Art von Deutschstunden bekommt er?
Tino Hanekamp: Seinen Vater, der ausschließlich auf Deutsch mit ihm redet, gute deutschsprachige Musik wie die von Niels Frevert, Die Sterne, Gisbert zu Knyphausen, Tristan Brusch und Team Scheiße, und deutschsprachige Abenteuerromane aus dem achtzehnten Jahrhundert.
Was ist sonst noch so los bei Ihnen gerade?
Tino Hanekamp: Wir kriegen ständig Besuch, ich weiß nicht, wo man sich noch verstecken und wie man zum Schreiben kommen soll, seit gestern haben wir eine Geschirrspülmaschine in unserer Küchenholzhütte, heute morgen hat mich der Eseljunge beim Waldspaziergang in den Fuß gebissen, und nachts sehen wir in der Tiefebene die Felder brennen, es ist nämlich Trockenzeit.