Hamburg. Sven Regener hat Teil zwei der Biografie des Musikers geschrieben. Ein wortgewandtes und lebenskluges Buch.

Andreas Dorau, der wahrscheinlich talentierteste verhinderte Popstar der Hansestadt, schreibt seine Autobiografie. Na ja, „schreibt“. Laut eigener Aussage beherrscht Dorau die lange Form nur unzureichend, selbst bei Songtexten sind Refrains der Bereich, der ihm am besten liegt (weswegen er sich 2019 mit der Platte „Das Wesentliche“ folgerichtig auf die Refrains beschränkte).

Aber trotzdem: Autobiografie! Dann eben mit Ghostwriter! Zum Beispiel mit Sven Regener, als Sänger der Berliner Schrammelchanson-Zauberer Element of Crime ebenfalls ein Grenzgänger der Popmusik, als Autor des immer weiter ausufernden „Herr Lehmann“-Kosmos aber mittlerweile eine richtig große Nummer im Literaturbetrieb. Und inzwischen auch noch Dramatiker: Sein Stück „Intervention!“ feiert am Freitag Premiere im Thalia, inszeniert von Leander Haußmann und gespielt von Schauspielstars wie Jens Harzer und Victoria Trauttmansdorff.

Sven Regener schreibt Teil zwei der Andreas-Dorau-Biografie

Aber zurück zu Dorau: Der erste Band seiner Erinnerungen aus Regeners Feder, „Ärger mit der Unsterblichkeit“, erwies sich 2015 als hübscher Einblick in die Musikszene, geschrieben im freundlich verkaterten Sound. Weswegen mit „Die Frau mit dem Arm“ jetzt der Nachfolger am Start ist, komponiert wieder nach dem gleichen Prinzip: Dorau erzählt Dönekens, Regener schreibt auf. Feddich.

Klingt spröde, entwickelt aber einen ganz eigenen Sog. Was zwei Gründe hat: Einerseits kann tatsächlich niemand so schreiben wie Regener, beiläufig, schnodderig, dabei überraschend genau. Als ob man einem wirklich guten Kneipengespräch zuhören würde, bei dem zwar große Mengen Bier fließen, die Köpfe aber nicht benebelt sind, sondern im Gegenteil hellwach, sodass die Argumente mit steigendem Alkoholpegel immer schärfer werden.

Und der zweite Grund ist: Bei diesem Kneipengespräch gibt es wirklich was zu erzählen. Dorau nämlich hat tatsächlich einiges erlebt: Er landete als 16-Jähriger mit dem Quatschsong „Fred vom Jupiter“ einen Neue-Deutsche-Welle-Hit, studierte Film, rutschte Ende der Neunziger überraschend in die französischen Top Ten, arbeitete jahrelang angestellt als „Video Consultant“ bei einer großen Plattenfirma. Und lässt sich künstlerisch vor allem darauf festnageln, immer das zu machen, was man eben nicht von ihm erwartet.

In „Die Frau mit dem Arm“ geht es weitgehend um Doraus Karriere ab 2005

In „Die Frau mit dem Arm“ geht es weitgehend um Doraus Karriere ab 2005. Die man, wenn man oberflächlich liest, als Abfolge von Misserfolgen verstehen kann. Die Platte „Ich bin der eine von uns beiden“: „Schnee von gestern“. Dorau als DJ: „völlig unbegabt“. Das 2018 auf Kampnagel uraufgeführte Musical „König der Möwen“: ein Hit, bei dem Dorau selbst nicht versteht, wie der sich einstellen konnte. Aber: Erfolg, Misserfolg, darum geht es hier gar nicht. Es geht darum, interessant zu bleiben. Und interessant ist, was Dorau zu sagen hat. Zumindest, wenn er es in den Worten von Regener sagt.

Dass man dabei auch noch was lernt, ist ein kleines Surplus. Was macht eigentlich ein Video Consultant? Wie läuft es ab, wenn man als Künstler vom Goethe-Institut nach Russland eingeladen wird? Und weswegen spielen Musiker mit fortschreitendem Alter eigentlich ihre frühen Hits nicht mehr gerne? Erfährt man alles in diesem so wortgewandten wie lebensklugen Büchlein (dessen Titel auf Doraus Hypochondrie anspielt – der verhinderte Star ist nämlich nicht nur ein toller Musiker, sondern auch ein reizendes Neurosenbündel).

Andreas Dorau und Sven Regener: „Die Frau mit dem Arm“, Galiani Berlin, 192 S., 22 Euro. Buchvorstellung: 14. März, 20 Uhr, Thalia Theater