Hamburg. Die Show am Mehr! Theater ist nun deutlich kompakter – und günstiger. Warum die Premiere unterbrochen werden musste.

Reducio! Harry-Potter-Fans wissen, was dieser Zauberspruch bewirkt (und Menschen mit kleinem Latinum können es erahnen). Es ist ein Schrumpfzauber, und er funktioniert sowohl bei Lebewesen als auch bei Gegenständen.

Und spätestens seit Sonntagabend steht fest: Er gelingt sogar bei aufwendigen Theaterproduktionen. Wenn auch, jedenfalls in diesem Sonderfall, eine einfache magische Formel allein wohl nicht ausgereicht hätte, ein bisschen Proben und Dramaturgie gehörten schon auch dazu ...

Harry Potter in Hamburg radikal gekürzt – und deutlich günstiger

Nach den Spielorten New York, Melbourne, Toronto und Tokio hat nun auch Hamburg seine Inszenierung „Harry Potter und das verwunschene Kind“ eingekürzt. Seit Dezember 2021 lief das Stück im eigens dafür umgebauten Mehr! Theater auf dem Großmarktgelände als Doppelshow an zwei Abenden oder an einem sehr langen Theatertag und war ausschließlich mit zwei Tickets zu erleben.

Nun ist sie ein Einteiler, leichter verdaulich, unkomplizierter in einen touristischen Kurztrip einplanbar – und mit Kartenpreisen ab 59,90 Euro zwar kein Schnäppchen, aber deutlich günstiger.

Harry Potter: Illusionen versetzen auch das erwachsene Publikum in Staunen

Noch immer ist der Abend keine Bühnenadaption der berühmten Romanvorlagen von J. K. Rowling, sondern erzählt als Originalstoff die Fortsetzung der siebenbändigen Potter-Saga. Nicht als Musical, auch wenn sich das Gerücht erstaunlich hartnäckig hält, sondern als Sprechtheaterproduktion in der Regie von John Tiffany mit Choreographien und Zauberelementen (Bewegungsregie: Steven Hogget).

Vor allem diese Illusionen sind es, das lässt sich nach nun also knapp dreieinhalb Stunden (inklusive einer Pause) zusammenfassen, die auch das erwachsene Publikum noch immer in Staunen versetzen. Figuren tauchen wie aus dem Nichts auf und verschwinden mindestens ebenso verblüffend wieder, indem sie zum Beispiel in einen Telefonhörer hineingesogen werden – der öffentliche Nahverkehr in der magischen Welt funktioniert anders als bei den Muggels.

Harry Potter: Technische Störung sorgt für sekundenkurze Pause

Die Show ist um fast die Hälfte eingedampft, aber die besten Effekte sind noch immer drin. Überhaupt bleibt – neben der eigentlichen Geschichte, versteht sich – vor allem der perfekt schnurrende Ablauf wirklich bemerkenswert. Er ist derart gewitzt ausgetüftelt, dass die Tricks sich selbst bei genauem Hinsehen aus einer der vorderen Reihen nicht offenbaren.

Dass die Vorstellung ausgerechnet in der Wiederaufnahme-Premiere aufgrund einer technischen Störung sekundenkurz unterbrochen werden muss, darf man unter „Künstlerpech“ verbuchen.

Harry Potter: „Trimagisches Turnier“ spielt im Theaterstück eine Schlüsselrolle

Die Handlung spielt rund 20 Jahre nach dem Ende der Romane (und Filme), Harry und seine Freunde Hermine und Ron sind erwachsen, verheiratet, Eltern. Mit allem, was das an großen, kleinen und apokalyptischen Herausforderungen so mit sich bringt: Pubertät zum Beispiel und die Bedrohung der friedlichen Welt durch einen altbekannten Spielverderber, den man nicht nur im Hause Potter mittlerweile längst beim Namen nennt: Voldemort.

Harry Potter selbst (nach wie vor souverän: Markus Schöttl) ist zum smarten Aktenfresser im Zaubereiministerium geworden – unter Ministerin Granger, der Ensemble-Neuzugang Zodwa Selele ein energiegeladenes Funkeln verleiht. Gelegentlich pinselt Harry noch Autogramme auf nackte Fan-Bäuche, was das Verhältnis zu seinem heranwachsenden Sohn Albus Severus Potter (wer die Vorgeschichte kennt, versteht die signalhafte Namensgebung) nicht einfacher gestaltet.

Überhaupt sind komplexe Väter und Vaterkomplexe in nahezu jeder Hinsicht die roten Fäden der Story. Die versteht besser, wer sich zumindest rudimentär in der Hogwarts-Welt auskennt und zum Beispiel das „Trimagische Turnier“ aus Band 4 („Harry Potter und der Feuerkelch“) erinnert. Das spielt auch in „Harry Potter und das verwunschene Kind“ eine Schlüsselrolle.

Harry Potter: Nicht alle Charaktere tauchen in der Kurzfassung auf

Manche Charaktere haben das Streichkonzert nicht überlebt. Der junge Harry Potter kommt im Einteiler nicht mehr vor, auch Hagrid und die Dursleys mussten weichen. Das kann man schade finden; entscheidend ist es nicht. Tatsächlich ist der Rotstift für das Publikum kaum spürbar. Mit kleinen Ausnahmen: Sprechen die Schauspielerinnen und Schauspieler etwa schneller? Mitunter wirkt es, als würde man eine Langspielplatte versehentlich auf Singlegeschwindigkeit abspielen.

Auch erscheinen die Zauberschüler Albus Potter und Scorpius Malfoy (Vincent Lang und Hardy Punzel übertreffen sich im Stimmbruchkieksen gegenseitig) etwas alberner als zuvor – vielleicht, weil ihren Parts durch die Konzentration der handlungstreibenden Szenen zwangsläufig mehr Raum gegeben wird.

Harry Potter in Hamburg gekürzt – das tut auch dem Ensemble gut

Was jedoch ebenso auffällt: Auch jenen Schauspielerinnen und Schauspielern, die schon seit Jahren dabei sind, hat der Schrumpfzauber gut getan. Das gesamte Ensemble ist mit wahrnehmbarem Spaß, einem exzellenten Gefühl für Timing und großer Energie bei der Sache.

Wer dem Director’s Cut von „Harry Potter und das verwunschene Kind“ trotzdem hinterher trauert, kann es mit „Engorgio!“ versuchen: Der Zauberspruch macht die Formel „Reducio“ rückgängig. Muggels ohne eigenen Zauberstab reisen vielleicht besser nach London. Dort läuft am Uraufführungstheater im West End noch immer die ausführliche Version.

„Harry Potter und das verwunschene Kind“, Mehr! Theater, Informationen und Karten unter www.harry-potter-theater.de