Hamburg. Joachim Hilke ist zum Weltmarktführer unter den Theaterbetreibern gewechselt. Über die Parallelen zwischen Sport und Theater.

Schwere Sessel, magische Wandbehängung, am Ausgang zum Foyer eine Auswahl an „Harry Potter“-Bänden und an der Bar Zauberstäbe aus Schokolade. Zum Interview bittet Joachim Hilke in die neu gestaltete Lounge im Mehr!Theater, seine Welt sieht jetzt aus wie eine gemütliche Version der Zauberschule Hogwarts.

Der frühere HSV-Vorstand hat die Branchen gewechselt. Nicht mehr der Sport, sondern die Unterhaltung steht für ihn als neuer CEO des Konzerns ATG Europe, Weltmarktführer unter den Theaterbetreibern, und als neuer Vorsitzender der Geschäftsführung der Mehr-BB Entertainment GmbH im Fokus.

Ex-HSV-Manager vermarktet jetzt "Harry Potter" in Hamburg

Wenige Tage vor der Premiere der Kurzfassung von „Harry Potter und das verwunschene Kind“ spricht Hilke über ehrgeizige Ziele, ein mögliches neues Theaterhaus in Hamburg und die Vermarktungschancen von Quidditch.

Hamburger Abendblatt: Herr Hilke, können Sie etwas mit den Begriffen „Knut“, „Sickel“ und „Galleonen“ anfangen?

Joachim Hilke: Da lasse ich den klugen Harry-Potter-Experten hier bei uns den Vortritt.

Das ist das Geld der magischen Welt, die Währung, die JR Rowling für ihre Potter-Saga erfunden hat… Und für das Geld sind Sie ja nun bei „Harry Potter“ zuständig. Kann man nach Ihrem Wechsel aus der Sportbranche mit Ihren Stationen bei Sportfive, dem HSV und Fanatics in die Kulturbranche sagen, dass Sie mit Emotionen und Leidenschaften handeln?

Hilke: Das trifft es tatsächlich ganz gut. Leidenschaft war mir schon immer im Beruf sehr wichtig. Und man stellt schnell fest, wie viele verwandte Bereiche es da zwischen der Sportvermarktung und der Entertainment-Vermarktung gibt. Wir wollen den Menschen einfach eine gute Zeit geben. Im Stadion genauso wie im Theater, Musical, in der Oper.

Inwieweit kann man den Profi-Fußball und die Unterhaltungsbranche vergleichen?

Hilke: Die Leidenschaft ist in meinem neuen Bereich ein wenig ausgeprägter. Hier leben wirklich alle für die Vorstellung.

Und das ist im Sport anders?

Hilke: Der Sport ist eine deutlich männlichere Gesellschaft. Ich muss sagen, ich hab im Sport viel mehr Ellenbogen erlebt. In allen Bereichen. Sowohl auf der Manager-Ebene, aber auch in der Kabine. Und die Einflüsse von außen sind natürlich enorm. Das ist hier ein wenig anders. Hier spürt man jeden Tag, dass alle nur ein Ziel haben: eine Inszenierung abzuliefern, die den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Das habe ich in dieser Form in meinem Berufsleben noch nie erlebt, das war wirklich neu für mich. Fairerweise muss man allerdings auch betonen, dass unsere Protagonisten am Theater eine andere wirtschaftliche Basis haben als die Hauptpersonen im Geschäft Profifußball. Vielleicht ist das Leidenschaftliche auch deshalb so ausgeprägt. Ein Theater-Schauspieler hat nach einer Vertragsverlängerung eben nicht bis zum Rest seiner Tage ausgesorgt.

Sie haben bei Mehr-BB Entertainment und der Ambassador Theatre Group ja gerade erst begonnen – gibt es noch etwas, was Sie überrascht hat?

Hilke: Die Dimensionen. Mit der Mehr-BB Entertainment und der Ambassador Theatre Group sind wir – um die Analogie zum Fußball zu schaffen – in der Champions League der Unterhaltung angekommen. Harry Potter ist derzeit der wahrscheinlich spektakulärste Theater-Content, den es global gibt. Harry Potter ist eine der stärksten Marken der Welt. Es gibt wenige Marken, wie Star Wars, die da noch mithalten können.

Sie sollen das Europa-Geschäft der Ambassador Theatre Group ausbauen, was genau haben Sie da vor?

Hilke: Mein Auftrag ist schon, die unterschiedlichen Unternehmen, die wir haben, zusammenzuführen. Und natürlich ist auch Wachstum im deutschsprachigen Raum und in ganz Europa ein Ziel, das ich erreichen möchte.

Mark Cornell, CEO der ATG-Gruppe, hat von „ehrgeizigen Plänen“ gesprochen. Wie sehen die aus?

Hilke: In der Tat ist Mark Cornell ein sehr ehrgeiziger CEO. Er war es auch, der mich von dem Projekt überzeugt hat. Es geht natürlich um Spielstätten, aber vor allem wollen wir die „customer experience“ stärken, wie es so schön auf Neudeutsch heißt. Was bedeutet es, einen ganzen Abend im Theater oder Musical zu verbringen? Im Zentrum steht natürlich die Show, aber auch das Drumherum wird immer wichtiger – vom Ankommen bis zum Wieder-nach-Hause-fahren.

Gehören Theater-Neubauten zu Cornells und Ihren „ehrgeizigen Plänen“?

Hilke: Ja. Das prüfen wir natürlich.

Auch in Hamburg?

Hilke: Das ist immer eine Frage von Opportunitäten. Aber ganz generell haben wir in Hamburg großes Interesse, ein weiteres Veranstaltungshaus zu haben. Wir haben jedenfalls genug Content, den wir auf die Bühne bringen könnten.

Wenn Sie als HSV-Vorstand von „content“ und einer „customer experience“ gesprochen hätten…

Hilke: …dann hätten die Ultras „Hilke raus“ gerufen.

Beim Fußball ist die Angst der Fans vor einer Überkommerzialisierung groß. Gibt es diese Sorge in Ihrer neuen Branche?

Hilke: Im Fußball gibt es viele andere Einnahmefelder außer den Fans: Da sind die TV-Rechte und die Sponsoren. In meiner neuen Branche haben wir ja eigentlich nur den Besucher, um den es geht. Und dem will man die bestmögliche Show bieten. Im Fußball müssen die handelnden Personen ihre Entscheidungen auch immer ein Stück weit von den Meinungen und Befindlichkeiten anderer abhängig machen. Das ist in allen anderen Wirtschaftszweigen dieser Welt komplett anders. Wenn jemand das Produkt nicht gut findet, dann kauft er eben kein Ticket. Er wird aber keine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen.

Hier dürfen Sie der „Superkommerzialist“ sein...?

Hilke: Der Begriff gefällt mir nicht. Natürlich gilt: Der entscheidende Faktor sind immer die Interessen und Bedürfnisse des Publikums, der Fans oder ganz allgemein des Konsumenten.

Die Fans laufen den Fußballclubs nach den Corona-Jahren die Bude ein, besonders beim HSV. Einige Theater kämpfen dagegen mit schwindenden Publikumszahlen. Wie ist das bei Ihnen?

Hilke: Wir haben das Glück, dass wir uns nicht um die Nachfrage Sorgen machen müssen. Aber das Buchungsverhalten hat sich geändert. Tickets werden kurzfristiger gekauft, weil da im Hinterkopf wahrscheinlich bei dem einen oder anderen Sorge mitschwingt. Auch unsere Entscheidung, „Harry-Potter und das verwunschene Kind“ neu zu inszenieren, hat natürlich etwas mit den Bedürfnissen unserer Kunden zu tun. Das Theatererlebnis wird jetzt einfacher zugänglich – und günstiger. Man braucht nicht mehr zwei Tickets, sondern nur eines. Wir wollen vor allem auch Familien erreichen.

Sind Sie ganz froh, dass Sie die Entscheidung der Show-Halbierung dem künstlerischen Team nicht verkaufen mussten?

Hilke: Die Entscheidung, das Stück neu zu inszenieren, wurde vom Ensemble positiv aufgenommen. Wir wollen ja „Harry Potter und das verwunschene Kind“ langfristig in Hamburg spielen.

Welchen Rat würden Sie als Manager denn Theatern geben, die um ihre Zuschauer bangen?

Hilke: Das würde ich mir nicht anmaßen. Gutes Programm findet immer ein Publikum. Aber das nicht-kommerzielle Theater hat einfach eine insgesamt kleinere Zielgruppe.

Verstehen Sie das subventionierte Theater als Konkurrenz?

Hilke: Überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Ich finde das subventionierte Theater essenziell wichtig. Für mich gehört es zur deutschen Kultur, dass Menschen Zugang zu kulturellen Angeboten erhalten. Ich würde es fatal finden, wenn man das reduzieren würde.

Waren Sie persönlich schon immer theater- und kulturinteressiert?

Hilke: Schon. Meine Eltern sind oft in die Oper gegangen, die Salzburger Festspiele waren fest in ihrem Kalender. Ich selbst habe mich später sehr für Musik interessiert – einmal querbeet. Ich liebe Jazz und Soul, war aber auch immer ein großer David-Bowie-Fan. Meine Theaterneugierde hat dann vor allem meine Frau aktiviert. Wir gehen sehr gerne ins Schauspielhaus, schätzen besonders die Inszenierungen von Karin Beier. Und „Richard –the Kid & the King“ hat mich umgehauen.

Werden Sie denn jetzt nach mehr Freikarten für „Harry Potter“ gefragt als früher, wenn der HSV gegen Bayern München gespielt hat?

Hilke: Die Freikartenanfragen lehne ich grundsätzlich ab. Ich finde das eine ziemliche Unart. Wenn jemand im Supermarkt arbeitet, fragt man ja auch nicht, ob man sich da mal was umsonst aus dem Regal nehmen könnte.

Ist der HSV nicht das größte Theater, das man in Hamburg managen kann?

Hilke: Nein. Das, was wir hier machen, hat schon eine andere Dimension.

Aber an das Unterhaltungsniveau des HSV muss man erst einmal rankommen: Illegale Autorennen, Fahrerflucht, Prozess vor dem Landgericht, Doping, Streit unter den Anteilseignern. Das ist der HSV-Content nur aus der vergangenen Woche. Wie froh sind Sie zum Beispiel, sich derzeit eher mit Hermine und Harry zu beschäftigen als mit den HSV-Profis Jean-Luc Dompé und William Mikelbrencis, die sich mutmaßlich ein illegales Autorennen geliefert haben?

Hilke: Sehr froh. Die Kollegen, die den HSV-Vorstandsjob jetzt machen und die ich sehr schätze, können gar nichts für die Geschichte, müssen sich aber mindestens eine Woche lang nur darum kümmern.

Das Brennglas der Öffentlichkeit…

Hilke: …habe ich nach meinem HSV-Ende überhaupt nicht vermisst. Ganz im Gegenteil.

Gibt es denn irgendetwas beim Geschäft Fußball, das Sie vermissen?

Hilke: Den Spieltag. Der ist schon cool. Das Gefühl, das Stadion, die Stimmung, das alles.

Wer ist denn der größere Zauberer: Harry Potter oder Robert Glatzel?

Hilke: Wer die Bücher gelesen, die Filme gesehen oder unser Theater besucht hat, der kennt die Antwort. An Harry Potter wird man sich auch in zehn Jahren noch erinnern…

Gehen Sie überhaupt noch ins Stadion?

Hilke: Doch, klar. Aber nicht nur ins Volksparkstadion. Ich war zuletzt auch häufiger in Frankfurt, in Bremen, bei Schalke und dank meines St.-Pauli-Freundes Bernd von Geldern sogar am Millerntor.

Bernd von Geldern ist der Chefvermarkter vom FC St. Pauli. Könnte man auch die magische Hogwarts-Sportart Quidditch ihrer Meinung nach noch besser vermarkten?

Hilke: Auf jeden Fall. Alles, was spektakulär ist, funktioniert. Das sieht man auch am Boom der US-Sportarten bei uns.

Hamburg wollte immer eine Sportstadt sein, war es aber nie wirklich. Ist Hamburg denn eine Kulturstadt?

Hilke: Hamburg ist auf jeden Fall eine Entertainmentstadt. Dazu tragen wir bei, die Stage Entertainment, die Hamburger Kunsthalle, die Elphi und all die anderen Protagonisten der Hamburger Kulturszene. Hamburg ist ja die Musicalhauptstadt Deutschlands, das ist wahrscheinlich unstrittig. Und Hamburg bietet als Stadt für Kurztrips den besten Mehrwert.

Aktuell pendeln Sie zwischen Hamburg, Düsseldorf und London. Wenn Sie im Zug oder im Flugzeug das Abendblatt lesen, was lesen Sie dann zuerst? Den Kulturteil? Den Sportteil? Oder etwa den Wirtschaftsteil?

Hilke: Die Politik. (lacht) Ich muss gestehen, dass ich früher immer als erstes den Sportteil gelesen habe, letztens aber erstmals in meinem Leben einen ganzen Bundesligaspieltag verpasst habe. Da habe ich am Montag die Zeitung aufgeschlagen und wurde von den Ergebnissen und den Spielansetzungen überrascht. Das wäre mir früher nie passiert.