Hamburg. Jubel und strahlende Gesichter allenthalben: Edward Gardner und das Bergen Philharmonic Orchestra spielten in der Elbphilharmonie auf.
Edward Gardner hat Street Credibility, eine geradezu selbstverständliche Glaubwürdigkeit. Ohne die gutbürgerliche Atmosphäre der Elbphilharmonie, das gekämmte Haar und den schwarzen Anzug träte es deutlicher zutage: Der britische Dirigent bewegt sich locker und zugleich energiegeladen, fokussiert und oft mit einer ironischen Distanz im Gesichtsausdruck, die seine Entschlossenheit unterstreicht. Gebieterische Gesten braucht er nicht, er hat die Tempostauungen, Übergänge und Piani im kleinen Finger. Widerspruch ist zwecklos. Das ist mal klar.
Vor wenigen Wochen erst hat Gardner mit dem London Philharmonic Orchestra ein zweitägiges Fest in der Elbphilharmonie gefeiert. Nun ist er mit seinem anderen Klangkörper da, dem Bergen Philharmonic Orchestra. Und zeigt sich ein weiteres Mal als Orchester-Dompteur im besten Sinne.
Gardner, Ravel und ein beklemmender Walzer
Die ersten paar Takte von Ravels „La Valse“ vereinen schon dessen ganze beklemmende Widersprüchlichkeit in sich. Dunkle, leise Schläge drohen, die Fagotte deuten eine Walzerbewegung an, die aber gleich wieder in sich zusammenfällt, und die Geigen flattern schaudernd.
Unbeschwerte Walzerseligkeit war 1919, kurz nach dem Ersten Weltkrieg, nicht mehr opportun. Bei Ravel ist es eher der Tod, der Walzer tanzt; nie kann man sich den Dreierrhythmen wirklich entspannt hingeben. Diese Ambivalenz halten Dirigent und Orchester durch, bis das Stück unter Kriegsgeschrei an die Wand fährt.
Geiger Hadelich trotzt dem Renommierbrocken
Szenenwechsel. Für das Violinkonzert von Sibelius haben die Bergener den Geiger Augustin Hadelich mitgebracht. Der ist zurzeit Associate Artist beim NDR Elbphilharmonie Orchester, dem Hamburger Publikum also nicht ganz unbekannt. Auch an diesem Abend zieht er seine Hörer wieder in den Bann mit seinem beseelten Spiel.
Das Sibelius-Konzert ist durchaus ein Renommierbrocken für geigentechnisches Muskelspiel. Nichts davon bei Hadelich. Der leuchtet mit dem phänomenalen Ton seiner Guarneri in jede Nuance, tönt die Phrasen ab und kann sich darauf verlassen, dass auch noch die leisesten Passagen im Saal zu hören sind. Es ist zu spüren, dass Hadelich sich als Teil eines Ganzen empfindet, dass er genau weiß, welche Funktion sein Part gerade im Geflecht der Partitur einnimmt. Dieser Sibelius geht zu Herzen.
Publikum nimmt sich Moderator-Appell zu Herzen
ProArte leistet sich für die Reihe „Faszination Klassik“ einen Moderator. Michael Becker hat vor dem Violinkonzert charmant darum gebeten, sich den Applaus für nach dem dritten Satz aufzubewahren – und siehe da, es wird beherzigt. Eine freundliche Ansage erfüllt ihren Zweck. Warum nicht immer so?
In Strawinskys Ballettmusik „Petruschka“ – gespielt wird die Fassung von 1947 – veranstaltet das Orchester dann regelrecht Kino für die Ohren. Die Flöte ist eine federleichte Ballerina, die Solotrompete marschiert wie gejagt von der Trommel. Die Rhythmen überlagern sich, ständig hört man mehrere Gassenhauer gleichzeitig.
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Das wird so plastisch, als liefe man leibhaftig über den Jahrmarkt, auf dem sich das traurige Schicksal der Gliederpuppe zuträgt. Nachdem Petruschka mit einem letzten Pizzicato sein Leben ausgehaucht hat, bricht Jubel los. Strahlende Gesichter, wohin man schaut. Und mittendrin der Musikerbändiger. Autorität hat, wer sie nicht ausspielen muss.