Hamburg. Deutschlandpremiere in Hamburg für Ene-Liis Sempers und Tiit Ojasoos Werk – mit Feierwütigen, Soldatinnen und Verzweifelten.

Wasser rauscht. Ineinander verknäulte junge Frauen räkeln sich am Boden. Bald erheben sie sich, streifen Reifröcke über und nehmen auf einer Bank zur getragenen Violinmusik gemäldeartige Posen an. Ernster Blick, die Hände mal im Schoß verschränkt, mal gekreuzt. So getragen bleibt es nicht in Ene-Liis Sempers und Tiit Ojasoos Performance „72 Days (72 päeva)“, die nun anlässlich des Lessingtage-Festivals ihre Deutschlandpremiere im Thalia in der Gaußstraße erlebte.

Das Regie-Duo aus dem estnischen Tallinn hat mehrere Eigenproduktionen – etwa Handkes „Die Stunde da wir nichts voneinander wußten“ am Thalia Theater herausgebracht. Den stärksten, radikalsten Eindruck hinterließen aber schon immer ihre Gastspiele.

"72 Days" im Thalia – eine wortlose Installation der Körper

Auch „72 Days“ beruht auf einer konsequent durchdeklinierten Idee. Einer wortlosen Installation der Körper, die durch die Jugend der Performenden von Träumen, Sehnsüchten, auch von Enttäuschungen in einer krisenhaften Zeit erzählt.

Bald verlassen die jungen Frauen die Bühne und tragen aus dem Hintergrund sackweise Kleider und Objekte auf die Bühne. Die von Jakob Juhkam und Raido Linkman kreierte Musik beginnt leise zu wummern und steigert sich von Deep House langsam zu Techno.

"72 Days" mit Frauen als Lebenshungrige im Glitzerfummel

Die Frauen streifen sich derweil die Kleidungsstücke über und nehmen weitere Posen ein, nun aber als Polizistinnen, Geflüchtete mit Baby auf dem Arm, Soldatinnen auf Stöckelschuhen, Verzweifelte mit zum Schrei geöffneten Mund, Feierwütige und Lebenshungrige im Glitzerfummel.

Das Ensemble transportiert diese Figuren mit eindrucksvoller, exakt ausgeführter, wortloser Geschäftigkeit. Mangels weiterer Entwicklung wirkt der Abend irgendwann etwas ermüdend, bis am Ende Kleider, Objekte und Performende in einem gigantischen Setzkasten-Regal verräumt sind. Ein schönes Bild einer Ordnung in einer von Chaos geprägten Zeit.

Ene-Liis Semper & Tiit Ojasoo: „72 Days (72 päeva)“, 4.2., 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße, Gaußstraße 190, Restkarten an der Abendkasse; www.Thalia-theater.de