Hamburg. Für Angelina Nikonova war es die erste Opern-Inszenierung – und das sah man ihr auch an. Nach der Pause nahm das Stück Fahrt auf.
Es schneit. Kein Witz. Und sobald in einer russischen Oper schon zur Begrüßung der Klischee-Schnee leise rieselt und sich die Hauptfigur in ihrer Provinz-Ödnis langweilt, während rustikales Landvolk diesen Klischee-Schnee beschaulich von da nach dort schippt, möchte man am liebsten schnell wieder raus ins Foyer. Am Tresen einen Wodka bestellen, um sich weitere Pauschal-Erwartbarkeiten vorsorglich schönzutrinken, bevor jemand wie in Tschechows „Drei Schwestern“ auch noch „Nach Moskau!“ ruft.
Nachdem Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier und Generalmusikdirektor Kent Nagano Schostakowitschs Opern-Erstling „Die Nase“ 2019 als bissig naseweise Groteske brachten, folgte nun, erneut mit Nagano im Orchestergraben, die eindeutig mörderischere Nachfolgerin „Lady Macbeth von Mzensk“.
Staatsoper: „Lady Macbeth von Mzensk“ – Buhrufe für die Regie
Jenes hardboiled Dorf-Drama über eine skrupellose Mehrfachmörderin, mit dem dieser nicht immer systemferne Komponist in fast tödliche Ungnade bei Stalin gefallen war. Denn der Diktator hatte es lieber klassisch irrealsozialistisch auf der Bühne, anstatt einer Frau mit Fleisch und Blut beim Leiden und Meucheln zusehen zu sollen.
Diesmal war die Regisseurin aber die russische Filmemacherin Angelina Nikonova; es ist ihre erste Opern-Inszenierung, und das sieht man ihr auch an. Eine interessante Idee ist der Einschub einer Gebetsszene vor dem Finale. Ansonsten aber bekommt man zunächst sehr, was man sehen soll, doch nicht, was man sich neu zusammenreimen könnte. Am Ende des Staatsopern-Premieren-Abends gab es dafür viel Beifall für alles und jeden, sanft eingedunkelt durch einige Buhrufe für das Regie-Team.
Nikonova bebildert vor allem die Oberfläche des Plots
Oft bebildert Nikonova vor allem die Oberfläche des Plots, in einem Bühnenbild (Varvara Timofeeva), das betulich dekorativ und harmlos das Nötigste zeigt, aber kaum Fragendes oder Suchendes. Szenisch, praktisch, gut: Das Ehebett, zentralste Requisite, wurde für die bessere Sichtbarkeit der mitunter ruppig abgearbeiteten Körperlichkeiten senkrecht gestellt. Die eisige Wolga im Zwangsarbeiter-Finale kommt grobkörnig videoanimiert als Kulissen-Tapete aus dem Computer.
Dass Männer in diesem Stück konstant Schweine sind, erfährt das Publikum frontal: Katerinas Schwiegervater Boris ist ein 1a-Arschloch im Bademantel, der sich sein letztes Pilzgericht mit Rattengift rechtschaffen verdient hat; Alexander Roslavets kostet das voll aus.
Mittelpunkt und Kraftzentrum wird Camilla Nylund als Katerina Ismailowa
Katerinas Gatte Sinowij, von Vincent Wolfsteiner eher eindimensional gesungen, ist eine ähnlich arme reiche Wurst. Seine Leiche wird so gemeinschaftlich von Katerina und Sergej im Keller des Hauses entsorgt, wie sie produziert wurde. Dmitry Golovin singt seinen Part angemessen zwielichtig. Statt der Zigarette danach gibt es nach diesem unkonventionellen Liebesbeweis von Katerina den Satz „Jetzt bist du mein Ehemann“ für den Mittäter, der sich später für die nächste schnelle Nummer an eine andere heranranzt.
In dieser kurzen Szene nutzt Marta Swiderska als Sonjetka die Chance zum Leuchten. Verweise auf die gerade jetzt nicht verjährte gesellschaftliche und gesellschaftskritische Brisanz des sehr russischen Stücks muss man allerdings eher mit dem Opernfernglas suchen: Klein und versteckt im Gebäude-Gebälk sind einige Überwachungskameras montiert. Und die Wachtmeister-Trotteltruppe, die sich über ihre misslichen Schwierigkeiten beim Einsammeln von Bestechungsgeldern beklagt, könnte so ohne Weiteres auch als Ordnungshüter in der Augsburger Puppenkiste aufmarschieren.
Mittelpunkt und Kraftzentrum ist, oder vielmehr: wird Camilla Nylund als Katerina Ismailowa. Ein Rollendebüt, das man auch als Sängerin ihres Formats nicht mal eben runtersingt. Anfangs ist sie oft zum Parken im Geschehen verdammt, doch im Laufe der Tragödie schafft sie es, sich freizusingen und die anfänglichen Höhenschärfen in den Griff zu bekommen. Stimmlich wie darstellerisch entwickelt sie sich zur Sympathin, obwohl sie doch alle, die ihrem Glückwunsch im Weg stehen, bedenkenlos ins Jenseits mordet.
- Heikles Programm mit Stärken – und hörbaren Schwächen
- Dystopie am Schauspielhaus: Gute Nacht, Menschheit!
- Ein trauriger Glücksfall für die Premiere von „Hedda Gabler“
Staatsoper Hamburg: Nagano und die Philharmoniker verharrten im gut gemeint Braven
Bis zur Pause lässt sich die Inszenierung aber zu sehr von Nikonovas konzeptioneller Unentschlossenheit anstecken. Nagano und die Philharmoniker verharrten auch in den von der Regie untergenutzten Zwischenspielen im gut gemeint Braven. Noch hatte die Musik, die doch so viele radikale Haken schlägt und Kontraste so rasant collagiert, als wären es Gegenschnitte beim Film, keinen blutigen Dreck unter den Fingernägeln. Die galligen Momente, ganz besonders das Vergewaltigungs-Tunken der Köchin Aksinja (Carole Wilson) in ein riesiges Nudelglas durch das testosterongesteuerte Mobbing-Kollektiv, waren eher Bad Segeberg statt Bolschoi.
Erst nach der Pause löste sich die Handbremse, das Stück nahm packend Fahrt auf: Die Musik wirkte nun brillant angeschärft, dramatischer und anrührender, bester Beweis wurde Katerinas letzter Monolog „Es ist schwer“. Er zeigte eine heldenhafte Anti-Heldin, die trotz all ihrer Schuld unschuldig bleibt, ein Opfer der Männer und der Umstände.
Nächste Termine: 25. / 28. / 31.1., 4. / 8.2., jew. 19.30 Uhr. www.staatsoper-hamburg.de