Hamburg. Mit Dmitri Schostakovichs Groteske startet die Saison an der Hamburgischen Staatsoper. Ein musikalischer wie szenischer Erfolg.

„Als Platon Kusmitsch Kowaljow eines Morgens erwachte, sah, fand er sich in seinem Bett zu einem naselosen Assessor verwandelt.“ Nicht der Beginn von Kafkas „Verwandlung“, kein Riesen-Käfer-Dasein also als Schicksals-Tiefschlag, aber fast. Die ähnlich absurde Vorstellung, dass eine Nase, ein eindeutig hirnloses Körperteil, sich wegschleicht, weil es als hochnäsiger Staatsrat Karriere in der Politik machen will, war für den jungen Schostakowitsch enorm reizvoll. Der Endzwanziger schrieb daraufhin eine rotzfrech flotte Kurz-Oper über eine Novelle von Gogol, gegen die da oben, die ihm, klar, nach der Premiere im Januar 1930 von oben Ärger einbrachte. Ein unverhohlen entblößendes, surreales Lehrstück über Macht und Ohnmacht in Zeiten galoppierenden gesellschaftlichen Irrsinns, das schnell zur Spielplan-Rarität wurde.

So einiges daraus wirkt mit dem Blick in die heutigen Tagesnachrichten bitterböse bekannt. Und man könnte diese Sause als den „Dreikopekenoper“-Cousin aus St. Petersburg forsch ins Klamaukige drehen und wenden, wie es Barrie Kosky 2018 an der Komischen Oper mit seiner Revue-Version in Berlin tat. Regisseurin Karin Beier, ansonsten Schauspielhaus-Intendantin in Hamburg und nach 13 Jahren wieder als Opern-Regisseurin aktiv, entschied sich für den nicht ganz so einfachen Weg. Sie baute lieber immer wieder Warnungen in die hart aneinander geschnittenen Szenen ein, um aus diesem Gestern-Zerrbild fürs Morgen zu lernen. Dass sie dabei trotz des enormen, kräfteverbrennenden Grundtempos dieser Oper nicht aus dem Tritt kam, zeigte nicht zuletzt auch, wie hilfreich Sprechtheater-Handwerk-Erfahrung bei derart diffizilen Opern-Arbeiten sein kann.

Trotz riesigem Ensemble bleibt Übersicht gewahrt

An Generalmusikdirektor Kent Nagano war es, die vielen Fäden und Fährten, die Schostakowitsch Musik legt, zu entwirren und im Griff zu behalten. Das gelang beeindruckend gut (und wurde am Ende, wie das gesamte Ensemble bejubelt). Blitzschnell und souverän wechselten die Philharmoniker die Stil-Spuren, sprangen gekonnt von den ironischen Brechungen und Überzeichnungen hinein in den funkelnd arrangierten Krach mit Balalaika oder singender Säge, die Marsch- und Polka-Parodien; dann wieder zurück in Pathos- und Jammer-Episoden oder zu den kurzen Solo-Auftritten, die dem riesigen Ensemble (fast 80 Rollen!) rabiates Keifen, Kreischen und Winseln zumuten. Dennoch blieben Übersicht und Balance gewahrt. Der Staatsopern-Chor, normalerweise eine ziemlich sichere Bank, schwächelte diesmal allerdings.

Der einzige halbwegs Normale – zunächst ohne entstellenden, aber gesellschaftsnormverdeutlichenden Fatsuit - ist der dauerpanische, unfreiwillig „entnasifizierte“ Kowaljow, der die Gesichtslücke mit einem Schweinchenrüssel und später einem schwarzen Fleck verdeckt, bis das Original sich urplötzlich wieder am Stammplatz anfindet. Für Bariton Bo Skovhus eine weitere Paraderolle an diesem Haus. Er ist als Sänger und als Darsteller eine Idealbesetzung, und wie schon als Wozzeck oder als Lear mit enormer Präsenz unterwegs bei diesem Balanceakt zwischen Wahn und Selbstmitleid. Den Mini-Auftritt als Finderin der Nase in ihrem Brotteig nutzte Hellen Kwon bravourös zeternd. Auch Levente Páll als Barbier, Andreas Conrad als Polizeihauptmeister mit Hang zum nicht ganz legalen Nebenverdienst und Gideon Poppe als Kowaljows Diener Iwan machten aus ihren Charakteren prächtig fiese Karikaturen.

Regie gibt von Anfang an Vollgas

Alles dreht sich auf dieser von Stéphane Laimé entworfenen Bühne um die Achse der Bösen, um die Staatsmacht. Die ist neben einem riesigen Rasierspiegel immer im Zentrum, von einem Wachturm aus alles überragend, alle bewachend, niemanden übersehend. Und wie es sich für eine garstige Groteske über diktatorische Zuständen gehört, hat die Regie alle Dezenz im Fundus gelassen und gibt von Anfang an Vollgas. Slapstick-Gesten, passend zum Dauerdrive der Musik, die kaum mal bremsend Atem holt und in der Schostakowitsch ständig mit dem Hauruck-Vokabular der Stummfilmmusik arbeitet, das er als Pianist in Kinos spontan zu erfinden hatte. Die dämlichen Ordnungshüter mit ihren dicken Hintern vollführen in der Choreographie von Altea Garrido Hampelmann-Balletteinlagen, gewürzt mit noch alberneren Martial-Arts-Posen.

In diesem realsozialistischen Absurdistan sind Stalin-Schnauzer Pflicht, obwohl die Vorlage noch zur Zarenzeit spielt. Andererseits: Durch Video-Einspielungen beamt Beier die Handlung ins heutige Hamburg, angeschärft durch Bilder von den G20-Demos. Und damit schmerzhaft klar wird, wie schnell Dinge und Normen kippen können, hat ein Polizist (Kristof Van Bowen) einen hysterischen Alternative-Fakten-Wortschwalldurchfall und kehrt später als Parodie auf Chaplins „Großen Diktator“ für eine Hetzrede in eine Massenszene zurück, bei der einem das Grinsen über die GröNaZ vergeht, weil ständig stramm rechte Arme ausgefahren werden.

Am Ende nur ganz sanfte Buhs für Karin Beier

So schnell, wie sie verschwand, ist am Ende die Nase wieder da, wo sie hingehört. Einen letzten Schluss-Gag gönnte sich die vom Premierenpublikum nur ganz sanft angebuhte Regisseurin auch noch; als finale Pointen-Pirouette auf Kosten rein männlicher Verlustängste, als Abschluss einer gelungenen Inszenierung, die um eine Nasenbreite ernster war, als man es vermutet hätte.

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