Hamburg. Bisher war Angelina Nikonova Filmemacherin. In ihrem Operndebüt inszeniert die Russin nun Schostakowitsch. Politisch sei das nicht.
In Hamburg inszeniert die russische Filmregisseurin Angelina Nikonova ihre erste Opernproduktion: Die „Lady Macbeth von Mzensk“ von Dmitri Schostakowitsch, entstanden 1934. Das Stück erzählt von einer jungen Frau, die aus patriarchalischen Verhältnissen ausbricht, ihre Leidenschaft und ihr Begehren auslebt und zur mehrfachen Mörderin wird.
Nikonova lebt in Russland, beim Interview in der Staatsoper möchte sie sich zur aktuellen Situation und zum Angriffskrieg auf die Ukraine auch auf mehrfache Nachfragen nicht konkreter äußern. Politik und Kunst, sagt sie, haben für sie nichts miteinander zu tun.
Hamburger Abendblatt: Katerina Ismailowa, die Hauptfigur der Oper, ist eine mehrfache Mörderin. Und trotzdem hat Schostakowitsch gesagt, dass er Sympathie und Mitleid mit ihr fühlt. Kann eine Mörderin eine Heldin sein?
Nikonova: Sie ist keine Heldin. Aber Empathie hat nichts damit zu tun, ob die betreffende Figur ein Held ist oder nicht. Empathie hat damit zu tun, dass wir Gründe für furchtbare Taten sehen können. In der Oper besteht die Rechtfertigung dieser Taten in Katerinas Liebe zu Sergei, die sich in Leidenschaft verwandelt hat. Auch wegen der verzweifelten Lage, in der sie sich zu Beginn der Oper befindet.
Haben Sie Mitgefühl mit ihr?
Nikonova: Ich habe Mitgefühl mit allen Figuren der Oper. Wenn das nicht so wäre, würden die Charaktere flach werden. Ich muss also Sympathie für alle Charaktere empfinden, um sie fürs Publikum interessant zu machen. Sie sind nicht einfach einfarbig, schwarz oder weiß. Jeder von uns besteht aus Grauschattierungen.
Schostakowitsch malt ein sehr düsteres Bild der russischen Gesellschaft. Sehen Sie Parallelen zwischen der historischen Zeit und der Gegenwart?
Nikonova: Nein, zum Glück nicht, nicht für die Menschen in Russland. Aber ich verstehe, warum er sein Stück in so dunklen Farben gemalt hat. Denn die Zeit, in der er gelebt hat, war unvorhersehbar und gefährlich, niemand wusste, was morgen kommt. Während der letzten 25 Jahre ist das meiste in Russland mehr oder weniger stabil – wenn wir über die Innenpolitik sprechen …
Abgesehen von dem, was innerhalb von Russland geschieht: Der Angriffskrieg gegen die Ukraine ist derzeit das beherrschende Thema der Außenpolitik. Wird Ihre Produktion dazu Stellung nehmen?
Nikonova: Ich glaube, es ist vollkommen falsch, Politik und Kunst zu vermischen. Ich würde sogar sagen, es ist ein Verbrechen, Politik und Kunst zu vermischen. Weil es die Kunst tötet. Natürlich verstehe ich, dass die russische Kultur gerade ein Ziel der Politik geworden ist und Stücke gestrichen worden sind. Aber das verletzt die Kunst und die Kultur. Wenn irgendein Kommentar drinsteckt, dann der Fakt, dass so eine Produktion in unserer Zeit möglich ist, hier in Deutschland, in Hamburg. Und ich bin den verantwortlichen Menschen sehr dankbar für ihren Mut, dieses Statement auszusenden: dass Kunst kein Ort für Politik ist.
Denken Sie nicht, dass Schostakowitsch selbst einige Werke zu einem Ort für politische Botschaften gemacht hat? Selbst wenn sie versteckt waren?
Nikonova: Vielleicht. Aber nicht in „Lady Macbeth von Mzensk“. Ich sehe viel Schmerz, den er gefühlt hat. Aber keine politischen Botschaften. Wer sich ein bisschen mit dem Stück beschäftigt hat, weiß natürlich, dass Stalin die Oper mit einem Bann belegt hat. Aber wenn Stalin irgendwelche politischen Kommentare gesehen hätte, wäre Schostakowitsch mindestens inhaftiert worden. Ich glaube, Stalin war eher über die sexuellen Inhalte empört. Russlands Kultur ist konservativ, wir sind es nicht gewohnt, einen Sexualakt auf der Bühne des Bolschoi-Theaters zu sehen. Ich glaube, das war es, worum es ging. Aber natürlich weiß ich, dass derzeit alles um Politik kreist und dass die Tatsache, dass ich Russin bin, diese Fragen antriggert. Aber ich stehe dazu: Kunst ist eine Insel.
Wenn der gesellschaftskritische Aspekt keine Rolle spielt: Was reizt Sie so besonders an der „Lady Macbeth von Mzensk“?
Nikonova: Das Faszinierendste an der Oper ist natürlich die Musik! Was ich am Inhalt besonders interessant finde, ist die Haltung, die Dmitri Schostakowitsch eingenommen hat. Seine Wahrnehmung von der Hauptperson, Katerina. In der Vorlage, der Erzählung von Nikolai Leskow, war sie ein Monster. Und Dmitri Schostakowitsch hat sich entschieden, sie eher als Opfer wahrzunehmen.
Was erwartet das Publikum also in Ihrer Inszenierung?
Nikonova: Ich hoffe, dass das Publikum ein enges Miteinander von Musik, Schauspiel, Kostümen und Bühnenbild erkennt. Denn darum geht’s in der Oper. Weil die Musik schon sehr emotional ist, habe ich versucht, auf der Bühne mit meinen visuellen Elementen nicht zu viel zu machen. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, eine gute Balance zu finden, damit das Publikum die Musik besser verdauen kann.
Sie sind künstlerisch eigentlich im Film zu Hause. Die Schostakowitsch-Produktion ist Ihre erste Arbeit als Opernregisseurin. Wie war das für Sie?
Nikonova: Ich hätte erwartet, dass es schwierig wird, und war überrascht, wie angenehm es sich angefühlt hat. Es gibt tatsächlich Parallelen zwischen dem Filmemachen und der Oper. Aber Oper ist schwieriger. Vielleicht, weil ich aus meiner Komfortzone rausgehe und etwas Neues mache. Aber auch, weil ich als Filmemacherin alles kontrollieren kann. Ich mache so viele Takes, wie es geht, bis ich den perfekten Moment erwischt habe. Und dann wähle ich beim Schneiden das Beste aus. Ich weiß also genau, was das Publikum sieht. Hier, in der Oper …
… gibt’s nur ein Take…
Nikonova: (lacht) … nur ein Take. Und ich hoffe, dass ich als Regisseurin stark genug war, um genug in die Aufführung einzupflanzen. Selbst wenn 20 Prozent verloren gehen, bleiben immer noch 80 übrig.
Was sind die Parallelen zwischen Film und Oper, die Sie eben angesprochen haben?
Nikonova: Es ist die Balance zwischen verschiedenen Elementen. Im Film Schauspielerei, Set-Design, Regie. Wenn eins von diesen Elementen überwiegt, fällt man aus der Geschichte raus und fängt an, schöne Bilder zu betrachten. Oder tolle Schauspielerei. Das sollte man alles vergessen. Man sollte die Geschichte sehen.
Sie betonen die Bedeutung der Musik von Schostakowitsch. Was zeichnet sie aus?
Nikonova: Wenn wir von „Lady Macbeth von Mzensk“ sprechen: Da war er noch sehr jung. Und sehr leidenschaftlich. Das merkt man am Rhythmus. Er ist sehr schnell, und er ändert sich ständig und plötzlich. Seine Nervosität ist deutlich zu spüren, aber auch sein Humor. Wenn die Musik aus einer dunklen Stimmung umschlägt und ironisch oder sarkastisch wird. Diese Wechsel und der Reichtum der Partitur machen die Oper zu einem einzigartigen Stück.
„Lady Macbeth von Mzensk“ Premiere 22.2., 18 Uhr, Staatsoper Hamburg, Karten und weitere Termine: www..staatsoper-hamburg.de