Hamburg. Alles kreuz und quer: Ensemble Resonanz unter Dirigent Riccardo Minasi verwebt Mozart und Berg – und stellt sich ganz neu auf.
Bis zur Pause war es da, nach der Pause war es weg. Wohin und erst recht warum auch immer. Ob ein großes weißes Ei mehr oder weniger, das am hinteren Bühnenrand dekorativ und demonstrativ in einer Art Goldkäfig aufgestellt und auch noch mit einem rätselhaften Seil bis hoch zur Decke am vorzeitigen Weglaufen gehindert wurde, tatsächlich etwas am Wesen der vor ihm gespielten Musik ändern könnte? Darüber kann man geteilter Meinung sein, soll man womöglich auch.
Doch allein dieser Streit würde den Beteiligten schon zeigen: Es hat, es kann etwas ändern, in der ästhetischen Wahrnehmung und Überformung des Ganzen. Weil das Ei an sich die Wahrnehmung des musikalischen Moments bündelt und lenkt, weil es da ist, als Wirkungsverstärker und Konzentrationspunkt. Nur eben – warum auch nicht – in gut ausgeleuchteter Ei-Form.
Ensemble Resonanz in der Elbphilharmonie: Das Auge hört mit
Das Ei im Großen Saal der Elbphilharmonie war eine interessante Premiere, die Idee an sich war eine Premiere, als das erste Konzert in kreativer Zusammenarbeit mit der Szenografin Annette Kurz, die in dieser und der nächsten Saison als „artist in residence“ die Konzerte an- und bereichern will, ohne selbst eine gespielte, gesungene oder dirigierte Note beizutragen. Dieser Auftritt fing bereits mit geänderten Kleinigkeiten an: Das Orchester begab sich nicht einfach irgendwie zum jeweiligen Arbeits-Platz, sondern stellte sich, seine Klangkörper-Einheit klar verkörpernd, kreisförmig auf; Dirigent Riccardo Minasi nahm einen wirkungsvollen kleinen Umweg von der Bühnentür durch die Mitte des Raums zu seinem Podest, anstatt an der Bühnenkante entlang von A unmittelbar nach B zu gehen. Ein reines, ganz klassisches Konzert-Format war das nicht mehr. Kleine, fein inszenierte Unterschiede, mit der Botschaft: Das Auge sollte hier verschärft mithören.
Ensemble Resonanz in der Elbphilharmonie: alles kreuz und quer
Was es danach zu hören beziehungsweise zu sehen bekam, entsprach durchaus der Resonanz-Philosophie, insbesondere bei deren Kooperationen mit Minasi: Keine halbgaren, lauwarmen Tempi, lieber zwei knackige Akzente zu viel als einer zu wenig, und wer sich im Tutti als erstes an die Stuhlkante zurücklehnt, hat verloren. Um die programmatische Vieldeutigkeit zu intensivieren, wurden die Stücke des Abends konsequent ineinander verwoben, dem Konzertmotto „Spindel & Schwindel“ folgend. Die sechs Sätze aus Bergs „Lyrischer Suite“, die vier Sätze aus Mozarts „Haffner-Sinfonie“ und dazu fünf Arien aus fünf Mozart-Opern, alles kreuz und quer, drunter und drüber, hin und her, ein spannendes Gefühls- und Formatchaos sollte sich daraus ergeben.
Trotz des historisch enormen Abstands zwischen dem Klassiker Mozart und dem Schönberg-Schüler Berg – für Minasi und das Orchester waren sie sehr nahe Verwandte im musikalischen Ausdruck. Die komplexe Konstruktion dieser Suite, die mit atonalen und zwölftönigen Bauabschnitten aufwarten konnte und zudem eine komplexe biografische Affären-Geschichte als verkomponierten Subtext zu bieten hatte, ließ er als Expertenwissen in den Hör-Hintergrund rücken. Vorrang hatte die expressive Kraft, ob nun mit wiedererkennbarer „Melodie“ oder ohne. Und auch, dass die „Haffner-Sinfonie“ aus Mozarts geheiligter Werkstatt stammte, war für Minasi kein Grund, sie ehrfurchtsvoll und behutsam anzufassen. Im Gegenteil, er nahm sie, abgesehen vom zart ausgeleuchteten Andante, durchaus hart ran. Rhetorische Figuren wurden provokant ausgereizt, keine Atempausen.
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Elbphilharmonie: Gibt es ein Wiedersehen mit dem Ei?
Für die Arien war Anna Prohaska, inzwischen eine gute Bekannte des Ensembles, zugegen, ihren ersten Einsatz hatte sie, stimmlich von oben einschwebend, vor dem Orgelprospekt im elbphilharmonischen Mittelgebirge mit Susannas „Deh vieni, non tardar“ aus Mozarts „Figaro“. Das war war lieblich und ansprechend; erst, als Prohaska für die nächsten Solo-Auftritte auf die Bühne kam und auch mal vor dem Orchester sang, kam die Untergröße ihrer Stimme hin und wieder durch. Als Fiordiligi in „Come scoglio...“ aus „Così fan tutte“ hatte Prohaska mit den drastischen Intervall-Achterbahnfahrten dieser Arie einiges an Mühe im Streben nach Leichtigkeit. Die letzte Akzent-Feuerwerk-Runde zündete Minasi mit dem „Haffner“-Finale.
Gute Filme fangen bekanntlich mit einem Erdbeben an, um sich von dort aus langsam zu steigern. Bleibt abzuwarten, mit welchen Ideen Kurz bei ihrem nächsten Einsatz aufwartet, dann soll es bei schlagzeuglastigem Repertoire durch Licht erhellend werden. Ein Wiedersehen mit dem Ei in der Rolle des roten Fadens sollte man dabei nicht ausschließen.
Aufnahmen: Mozart „Sinfonien 39 – 41“ Ensemble Resonanz, R. Minasi (harmonia Mundi, CD ca. 19 Euro). Anna Prohaska / Isabelle Faust „Kurtág: Kafka-Fragmente“ (harmonia mundi, CD ca. 18 Euro).
Nächstes Kurz-Konzert: 16.11. Elbphilharmonie, mit Musik von Poppe, Adès, Ives u.a.