Hamburg. Die Sopranistin konnte sich nicht immer gegen das Orchester durchsetzen – erst ein Positionswechsel brachte strahlende Abhilfe.
Ach was, wollen wir mal nicht so sein, einmal im Jahr darf das. Weihnachten ist schließlich auch das Fest der Toleranz und der Vergebung, da kann man es ruhig ein klitzekleines Bisschen übertreiben mit dem Gefühligen und der Dicke der Kitsch-Glasur. Mancher Kollege von Diana Damrau – keine Namen, aber: Tenor und ein bezeichnend geschäftstüchtig klingender Nachname – singt seit Jahren sehr lukrativ die ewig gleichen Lieder davon.
Die Sopranistin aber wollte in diesem Winter das Saisonale mit dem Historischen verbinden. Sie wollte ein bisschen weihnachteln, überraschen und barocken und vor allem: Gemeinschaft durch und mit Musik erleben und darin etwas vom verlorenen Halt wiederfinden. Der Saal war sehr gefüllt, sie war nicht die einzige.
Diana Damrau konnte sich nicht immer gegen das Orchester durchsetzen
Hehre, hohe Ziele, alle miteinander, nicht jedes wurde musikalisch gänzlich erreicht. Die Bescherung ging schon damit los, dass die Akustik der Elbphilharmonie auch kurz vor dem vierten Advent keinerlei Geschenke macht, wenn man auf der Bühne des Großen Saals keine idealen Bedingungen hat. Die Solistinnen-Position vor einem groß besetzten Orchester ist nur bedingt eine gute Idee; nicht immer, so schien es jedenfalls auf einem Mittelgebirgs-Rangplatz, konnte sich Damraus weichwarm leuchtende Stimme in den wunschkonzertkompatibel arrangierten Weihnachtsklassikern gegen den süßlichen Klangdruck der NDR Radiophilharmonie durchsetzen.
Deren Gastdirigent Gianluca Capuano, der erst vor zwei Wochen mit Cecilia Bartoli dort gewesen und mit Mozarts „Clemenza di Tito“ eine bella figura gemacht hatte, wollte theoretisch womöglich gegensteuern, konnte praktisch aber wenig daran ändern.
„Jauchzet Gott in allen Landen“ für Anlass passend
Diese Unwucht war auch in der Bach-Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen“ vernehmbar, die zwar überhaupt kein Saisonartikel ist, aber für den Advent-Anlass passend und klug ausgewählt war, weil nicht nur die Sopran-Stimme jauchzen und lobpreisen kann, sondern eine extra Solo-Trompete den Prachtbarock-Regler auf elf dreht.
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Auf die Zwölf wäre man mit historisch informierter Stil-Arbeit an den Details gekommen. Leider aber dieselte das Orchester aus Hannover dabei allzu gleichförmig und mittelspannend vor sich hin. Händels „Rinaldo“-Ouvertüre litt ähnlich darunter.
Diana Damrau setzt komplett weihnachtsfreien Höhepunkt
Kleine, feine Kontra-Glanzlichter setzte immer wieder der Trompeter Matthias Höfs, im Bach oder in einer Kostprobe aus einem Telemann-Konzert. Der interessanteste, bewegendste und anrührendste Moment des Abends jedoch war interessanterweise wieder komplett weihnachtsfrei: Der Beginn von Händels Ode „Eternal Source of Light Divine“, mit der nicht zur Geburt Jesu, sondern ganz profan der damaligen Queen Anne zum 48. Herrscherinnen-Geburtstag gratuliert wurde.
Damrau und Höfs hatten sich dafür weit oben in entgegengesetzten Rängen im Saal positioniert. Hier war Damrau, der Bodenhaftung der Bühne für einige Minuten entbunden, ganz in ihrem Element: Alle und jeden überstrahlend, mit einer Stimme, die mühelos zu schweben schien und kurz an höhere Mächte glauben ließ, die jedes Problem wieder einrenken können.
Aktuelle Einspielung: Diana Damrau „My Christmas“ (Erato, CD ca. 18 Euro)