Hamburg. Er ist im Musikalischen eine Kategorie für sich: Bei András Schiff besteht der Zauber darin, wie der Pianist die Musik atmen lässt.

Ein Abend nur mit Klavierkonzerten von Bach? Klingt irgendwie nach Nische und Spezialistentum. Findet aber im Großen Saal der Elbphilharmonie statt. Wenn man ein so monochromes Programm hören möchte, dann bitte von András Schiff: im Auftreten Grandseigneur, im Politischen kompromisslos, im Musikalischen eine Kategorie für sich. Weshalb an diesem Abend auffallend viele Musikerkollegen im Publikum sitzen.

Elbphilharmonie: András Schiff ist im Musikalischen eine Kategorie für sich

Wie Perlen an der Schnur reihen sich die Konzerte mit den BWV-Nummern 1052 bis 1056 und 1058 aneinander. Mit dem Titel „Klavierkonzert“ ist das allerdings so eine Sache. Es lässt sich nämlich nicht zweifelsfrei nachvollziehen, in welcher Gestalt Bach diese Stücke ursprünglich geschrieben hat. Die Fassungen für Tasteninstrumente (nichts anderes bedeutete damals „Clavier“) kamen in den meisten Fällen wohl später.

Nirgends entsteht der Eindruck, dass der Komponist dem Klavier einfach etwas übergestülpt hat. Er hat nämlich die Besonderheiten des Instruments in geringfügigen Änderungen durchaus berücksichtigt. So löst er im langsamen Satz von BWV 1054 den lange blühenden Ton der Sologeige in der Tasten-Version in einen Triller auf und erreicht dadurch einen ähnlichen singenden Effekt.

Schiff und die Seinen ziehen die Anwesenden tief hinein in diese Musik, die aus nichts als Essenz zu bestehen scheint. Jede Wendung, jede Harmonie hat ihre eigene Aussage. Der Pianist zeigt sich als Kammermusiker und Primus inter pares. Wenige Gesten reichen ihm aus, um mit seiner Cappella Andrea Barca zu kommunizieren.

András Schiff in der Elbphilharmonie: Viele Musiker im Publikum

Zu Bachs Zeit gab es natürlich noch keinen schwarzlackierten, stahlbewehrten Steinway. Schiff versucht gar nicht erst, ein Cembalo zu imitieren. Er findet seinen ganz eigenen Ton, gefasst und warm, und nutzt maßvoll die dynamischen Möglichkeiten des modernen Flügels. Nur manchmal klingen die Akkorde etwas zu hart und vertikal im Vergleich zu dem Klangspektrum eines Cembalos.

Der Zauber besteht darin, wie Schiff die Musik atmen lässt, wie er den Momenten nachlauscht, in denen Bach den Himmel hereinlässt. Wie tröstend und sanft rollen die Triolen im Andante von BWV 1058 dahin, wie genau loten die Harmonien jede emotionale Nuance aus. Hier wird nichts beschönigt, und doch spricht aus der Musik ein tiefes Gefühl des Aufgehobenseins.

Diese Intensität ist im Publikum zu spüren

Die Cappella tut das Ihre dazu. An den Klang der Stahlseiten muss sich das Ohr ein wenig gewöhnen; manches scheppert im Verlauf, und die erste Geigengruppe ist nicht immer perfekt homogen. Aber was bedeutet schon Perfektion, wenn es um Inspiration geht, um den Geist eines Werks?

Der leuchtet förmlich in den langen Spannungsbögen, in dem federnden, von hörbarem Gemeinschaftsgeist getragenen Spiel. Zu erleben, wie der Kontrabassist und seine Kollegin, an entgegengesetzten Stellen im Orchester platziert, miteinander tanzen, ist hinreißend.

Diese Intensität ist im Publikum zu spüren. Hier würde niemand gedankenlos dazwischenklatschen. Nur der Kopfsatz des letzten Konzerts geht mit so viel Schwung zu Ende, dass einige gar nicht anders können, als zu applaudieren. Und so soll es ja auch sein: ein Konzert als geistiger und seelischer Austausch zwischen Menschen.