Hamburg. Das neue „Hambuch“ vermittelt nicht nur Hintergrundwissen, sondern unterhält auch mit liebevoll recherchierten Kuriositäten.

Hamburg ist viel mehr als Hafen. So viel ist klar. Aber wie viel mehr und wie vielfältig die Elbmetropole ist, breitet Jörn Tietgen, Journalist und Autor zahlreicher Hamburg-Bücher, in seinem neuesten Werk „Hambuch – Das Hamburger Hausbuch“ (192 S., 30 Euro, erhältlich im Abendblatt-Shop) aus.

Der Band steht in der Tradition des Hausbuchs, das früher oft das einzige Buch im Haus neben der Bibel war und immer dann zur Hand genommen wurde, wenn guter Rat, Erbauung oder Unterhaltung gesucht wurden. Es enthielt Ratschläge für den Haushalt, versammelte das Wissen der Alten und unterrichtete die Nachkommenden über das Brauchtum, die Feste, Lieder, Rezepte, Redensarten und Sagen ihrer Städte und Landschaften.

Neues Buch „Hambuch“ eignet sich auch als Geschenk

So gesehen bietet das „Hambuch“ eine Form der Selbstvergewisserung und Orientierung für alle Bewohnerinnen und Bewohner Hamburgs und hilft dabei, die Frage des Wesens der Stadt Hamburg und der in ihr lebenden Menschen vielleicht etwas genauer zu ergründen. Nicht nur als Geschenk für Zugezogene eignet sich das Buch, sondern auch zum Stöbern für Hamburgerinnen und Hamburger, die dabei mit Sicherheit die ein oder andere Neuigkeit oder Kuriosität erfahren und fortan wie Tietgen so schön schreibt, mit Kloogschieter-Wissen punkten können.

Städte als Orte des Zusammenkommens vieler Menschen, des flüchtigen Treffens und Durchreisens, der Märkte und Messen waren schon immer einem schnelleren Wandel ausgesetzt, als es vielleicht in ländlichen Regionen der Fall ist. Nichtsdestotrotz, oder vielleicht auch gerade deshalb, sind Städte nicht ohne ihre eigenen Traditionen, ohne ihre speziellen Dinge und Besonderheiten.

„Der Ehrbare Kaufmann steht zu seinem Wort"

„Hambuch“ von Jörn Tietgen ist im Junius Verlag erschienen.
„Hambuch“ von Jörn Tietgen ist im Junius Verlag erschienen. © ´ | Junius Verlag

Hamburg bildet dabei keine Ausnahme, und so haben sich auch hier Regeln und Rituale, aber auch Dinge des täglichen Lebens entwickelt, mit denen die Bewohnerinnen der Stadt sich ihrer eigenen Kultur und Geschichte vergewissern. Einige dieser Traditionen sind bis heute zu beobachten.

Im alltäglichen Wirtschaftsleben in Hamburg werden Geschäfte per Handschlag abgeschlossen. Zwar gibt es diese Tradition auch andernorts, in Hamburg aber wird sie in besonderer Weise in Ehren gehalten. Eine Regel der „Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg“ ist: „Der Ehrbare Kaufmann steht zu seinem Wort, sein Handschlag gilt.“

Für die Queen von England machte der Bürgermeister eine Ausnahme

Kommen Staatsgäste zu Besuch ins Rathaus, so begrüßt der Bürgermeister seine Gäste nicht auf ebener Erde in der Rathausdiele, sondern erst am oberen Ende des Treppenaufgangs zu den Senatsräumen. Die Gäste müssen sich also die Treppe hinauf zum Chef der Stadt begeben. Dieser Brauch entstand dadurch, dass Besucher in früheren Zeiten oft per Pferd zum Rathaus kamen. Hätte der Bürgermeister seine Gäste nun bereits am Pferd begrüßt, so hätte er ihnen auch die Steigbügel halten müssen – eine entwürdigende Geste für einen noblen Hamburger Regierungschef, der keine weltliche Macht über sich akzeptierte!

Nur zweimal hat ein Hamburger Bürgermeister in den letzten Jahrhunderten Ausnahmen gemacht: Beim Besuch der Queen von England in den 1960er-Jahren kam der damalige Bürgermeister als Gen­tleman der Dame entgegen, und bei der Visite des sehr dickleibigen Königs von Tonga, Taufa’ahau Tupou IV., habe er keine andere Wahl gehabt, als seinen Gast unten zu begrüßen, da der Monarch die Treppe nicht zu Fuß erklimmen konnte.

Was einen Hanseaten wirklich auszeichnet

Hamburg war von Beginn an eine Stadt der Kaufleute und des Seehandels. Schon früh wurde deshalb die Kooperation mit deren Städten und Ländern wichtig. Insbesondere im Mittelalter wurden Hamburg und die Hanse enge Partner beim Handel im gesamten norddeutschen Raum. Ähnlich vage wie die Geburt, die Verfasstheit und auch das Ende der Hanse ist das, was eigentlich einen „Hanseaten“ ausmacht. Ist er vornehm-zurückhaltend, wohlhabend und weltoffen, urban und korrekt?

Oder eher dünkelhaft-arrogant, steif, unnahbar und kleingeistig? Letztlich scheint nur den norddeutschen Bäckern klar zu sein, woraus ein „Hanseat“ besteht: aus zwei runden, übereinandergelegten Scheiben Mürbeteig, die durch Himbeermarmelade zusammengehalten werden und auf der Oberseite jeweils zur Hälfte mit weißem und rotem Zuckerguss, den Farben der Hanse, verziert sind.

Viele Konsulate in Hamburg

Wegen der starken Ausrichtung auf den Handel befinden sich in Hamburg viele diplomatische Vertretungen in Form von Konsulaten. Zurzeit haben etwa 100 Staaten Konsulate in der Stadt, eine Tradition, die 1570 mit einem österreichischen Konsulat begann. Nach New York und Hongkong ist Hamburg damit der drittwichtigste Konsularplatz auf der Welt. In der Mehrzahl handelt es sich um Honorarkonsulate, bei denen die Konsuln oft Hamburger sind, die über gute Kontakte in das von ihnen vertretene Land verfügen und diese Aufgabe neben ihrem Beruf übernehmen, ohne dafür bezahlt zu werden.

Aber wie sind sie denn nun, die Hamburger und Hamburgerinnen: Wortkarg? Arrogant? Weltoffen? Anglophil? Krämerseelen? Große Mäzenaten? Treue Freunde? Abweisend? Unterkühlt? Dröge? ...Viele weitere Attribute sind im Umlauf. Der Arzt Johann Jakob Rambach (1772–1812) entwirft in seinem „Versuch einer physisch-medizinischen Beschreibung von Hamburg” 1801 folgendes Bild: „Die besonderen Eigenheiten des Karakters der Hamburger rühren besonders von ihrem Temperament und ihrer Beschäftigung her.

Hamburger besitzen wenig Reizbarkeit

Jenes nähert sich dem phlegmatischen. Der Hamburger hat dem zufolge wenig Einbildungskraft und ist deshalb zur Hypochondrie und zum Selbstmorde nicht geneigt, er besitzt wenig Reizbarkeit und Lebhaftigkeit, er hat mehr Hang zum Ernst als zur Lustigkeit, ist mehr arbeitsam als thätig, ausdauernd, aber nicht erfinderisch.“

11 Dinge, die Sie wahrscheinlich noch nicht wussten über unsere Stadt

1. Hummel, Hummel – Mors, Mors: Nur Auswärtige denken, dass irgendwer in Hamburg sich derart begrüßen würde. Trotzdem machen die meisten Einheimischen in ihrer angeborenen stoischen Freundlichkeit in der Regel bei dem Spiel mit. Auch die aus dem Wort „Dicker“ abgeleitete Ansprache „Digger“ oder „Digga“ stammt aus dem Hamburger Raum und entwickelte sich vermutlich schon Anfang des  20. Jahrhunderts im Arbeitermilieu. Demnach wäre „Digger“ ein ähnliches norddeutsches Kosewort wie „Schieter“ (Hosenscheißer) oder „Buttscher“ (ein ziellos durch die Gegend streunender Junge, der vor allem Blödsinn und Abenteuer im Kopf hat), indem ein eigentlich negativ konnotiertes Wort positiv gewendet wird. Richtig populär gemacht wurde „Digger“ aber erst durch die Hamburger Hip-Hop-Szene der 1990er-Jahre. Seither hat die freundschaftliche Anrede ihren Siegeszug durch die ganze Republik angetreten. Vor allem unter Jugendlichen in Norddeutschland hört man das Wort „Digger“ in etwa jedem zweiten Satz.

2. Nicht Fiete, Ole, Piet: Nordische Vornamen sind in Hamburg zwar für Neugeborene überdurchschnittlich beliebt, aber die Gesamtverteilung über alle Generationen ergibt nach dem Melde­register vom Mai 2021 ein anderes Bild. Besonders viele Männer in Hamburg heißen Michael, Thomas oder Andreas. Viele Hamburgerinnen hören auf die Namen Sabine, Julia und Karin.

3. In der Hansestadt wurden zahlreiche Filme gedreht. Unter anderem in der Innenstadt und auf dem Sportplatz von Grün Weiß Eimsbüttel entstanden 2002 Szenen mit der jungen Kira Knightley für „Kick it like Beckham“. Und in der bekannten Verfilmung von „Der Hauptmann von Köpenick“ mit Heinz Rühmann aus dem Jahr 1956 diente das Finanzamt am Schlump als Köpenicker Rathaus und als Bahnhof das Altonaer Rathaus.

4. Im Stadtteil Horn gab es Mitte des 19. Jahrhunderts eine sogenannte Blutegelbörse im Gasthof Schinkenkrug. Dort wurden Ladungen von Blutegeln, die damals vielfach in der Medizin ver- wendet wurden, gehandelt. Sogar Händler aus dem Ausland kamen hierher. Blutegel gab es im Hamburger Raum etwa in den Marschgebieten der Vierlande. Aufgrund der hohen Nachfrage wurden von Vierländer Händlern Handelsexpeditionen bis nach Russland unternommen, um Blutegel zum weiteren Verkauf zu sammeln. Einige Blutegelhändler kamen so zu erheblichem Reichtum.

5. John le Carré (1931–2020), Verfasser zahlreicher weltbekannter Agentengeschichten, war Anfang der 1960er-Jahre für einige Zeit selbst als Spion des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 in Hamburg stationiert.

6. Die Straße Schulterblatt im Schanzenviertel hat ihren Namen von dem großen Schulterblatt eines Wals, das ein Wirt als Erkennungszeichen vor seine Gaststätte gehängt hatte.

7. Die Gulaschkanone ist eine Hamburger Erfindung. 1850 erlangten Heinrich Zeise und sein Sohn Theodor aus Altona ein Patent für eine mobile Küche, die für die Versorgung armer Menschen gedacht war. Erbsensuppe ist heute ein beliebtes Gericht aus der Gulaschkanone, die ihren Namen vom Volksmund nicht nur erhielt, weil sie häufig beim Militär eingesetzt wurde, sondern auch, weil sie ähnlich transportiert wurde wie Geschütze.

8. Die Veddelhose ist ein Beinkleid, das seit Ende der 1960er-Jahre in einer Schneiderei in Georgswerder hergestellt wird. Diese schwarze Hose aus festem Stoff mit markanten Nähten und ledergefassten Hosentaschen, die am Oberschenkel hauteng, an den Waden aber mit einem weiten Schlag versehen ist, entwickelte sich nicht nur zu einer Art Standardhose bei Zimmerleuten, sondern in den 1970er-Jahren auch zu einem kultigen Kleidungsstück in Rockerkreisen. Da man die Hose ursprünglich nur als Maßanfertigung bekam, entstand im Volksmund der Name, weil die Kunden mit der Straßenbahn bis zur Station Veddel fahren mussten, um von dort zu Fuß weiter zum Geschäft zu gehen.

9. Die älteste Versicherung der Welt ist die 1676 gegründete Hamburger Feuerkasse, die nicht als privatwirtschaftliches Unternehmen gegründet wurde, sondern als öffentlich-rechtliche Institution durch Rat und Bürgerschaft.

10. Der Wandsbeker Athleten Club von 1879 ist der älteste Ringer-Verein Europas. Ende des 19. Jahrhunderts lebte einer der weltweit berühmtesten Ringer in Hamburg: Carl Abs, auch bekannt als „plattdeutsche Eiche“ oder „German Oak“. Ob Abs Mitglied im Wandsbeker Athleten Club war, ist unklar.

11. Die Kibbelstegbrücke ist der Doppeldecker unter den Hamburger Brücken. Die obere Etage der Fußgängerbrücke in die Speicherstadt ist sturmflutsicher und kann als Rettungsweg genutzt werden, die untere Etage darf bei Sturmflut ruhig unter Wasser stehen.

Betrachtet man die Hansestadt unter kulinarischen Gesichtspunkten, tut man der Hamburgischen Küche kein Unrecht mit der Behauptung, dass sie nur wenige kulinarische Eigenheiten und Sensationen hervorgebracht hat. Die meisten Speisen und Getränke gehören in den mehr oder weniger breiten Zusammenhang der norddeutschen Küche.

„Hamburg ist die beste Republik"

Das bedeutet, dass in Hamburger Küchen in früheren Zeiten eher deftig und mit saisonalen Produkten gekocht wurde, die regional verfügbar waren. Nichtsdestotrotz lassen sich ein paar kulinarische Highlights identifizieren, die eng mit der Stadt und ihrer Geschichte verbunden sind. Doch auch wenn die Hamburger Küche sich nicht durch besondere Finessen oder große Originalität ausgezeichnet hat, ist völlig klar: Gerne und viel gegessen haben die Hamburgerin nen und Hamburger immer!

Zahlreiche Quellen belegen die große Lust am Speisen und Schmausen. Heinrich Heine schrieb 1834: „Hamburg ist die beste Republik. Seine Sitten sind englisch und sein Essen ist himmlisch. Wahrlich, es gibt Gerichte zwischen den Wandrahmen und dem Dreckwall, wovon unsere Philosophen keine Ahnung haben. Die Hamburger sind gute Leute und essen gut.“

Stadtplaner wollten einen Tunnelunter der Alster bauen

Tietgen versammelt zu allen Themen sorgfältig Recherchiertes und schreibt mit Liebe zum Detail. So heißt ein Kapitel „Hamburg kriminell“, ein anderes „Tolle Hamburger Straßennamen“. Sogar die verschwunden Bäche, wie etwa der Tielbek, der einst am Großneumarkt entsprang, finden Erwähnung. Im Laufe der Zeit hat sich das Gesicht der Stadt immer wieder verändert. Brände und Sturmfluten haben für Verwüstungen gesorgt, und auch die Hamburger selbst gingen recht mitleidlos mit ihren Bauwerken um.

Im Kapitel „Das ungebaute Hamburg“ geht es um Projekte, die nicht realisiert wurden, wie zum Beispiel der Bau eines Tunnels unter der Alster. Sie fügte sich zu weiteren Ideen, Hamburg autogerechter werden zu lassen. So sah der Flächennutzungsplan von 1971 unter anderem vor, den Isebekkanal zu betonieren und in eine Stadtautobahn zu verwandeln. Schon zuvor war vorgeschlagen worden, vom Stephansplatz nach Süden eine breite Straßentrasse an den Baumwall zu schlagen, wo dann ein neuer Auto-Elbtunnel den Fluss queren sollte. Bis Ende der 1980er-Jahre wurden diesen Plänen immer noch Flächen vorbehalten.

Neues Buch „Hambuch“: Tietgen klärt Missverständnis aus

Und auch ein Missverständnis klärt Tietgen auf: Warum sich in Hamburg nun ausschließlich für St. Pauli der Begriff „Kiez“ eingebürgert hat, ist unklar. Wann immer man in der Stadt also Leute neumodisch von ihrem Stadtteil als ihrem „Kiez“ in Hamburg berichten hört, kann man schon mal recht sicher sein, dass hier kein Einheimischer spricht. Doch wer weiß, Sprache ist lebendig, und vielleicht ist es in einigen Jahren auch in Hamburg ganz normal, vom „Osterstraßen-Kiez“ oder vom „Fuhle-Kiez“ zu sprechen.