Hamburg. Klassische Vollbedienung: 7000 Fans tanzen und feiern mit der Rockband aus Toronto in der ausverkauften Sporthalle bis zur Erschöpfung.
Bald 20 Jahre ist es her, dass Billy Talent zum ersten Mal in Hamburg im Gruenspan spielte. Am Mittwoch war die kanadische Rockband aus Toronto zum neunten Mal in der Hansestadt – und die Fans haben offensichtlich immer noch nicht genug T-Shirts, wie die lange Schlange am Fanartikelstand in der Sporthalle andeutet. Ausverkauftes Haus.
Es ist eng im Umlauf, die altgediente Leibesübungen-Butze in Winterhude platzt aus allen Nähten, und in den Pausen nach den Vorbands Pabst und Frank Turner & The Sleeping Souls schwappt die Menge durch die Saaltüren an die Getränkestände. Eigentlich ist es das gewohnte Bild, alles beim Alten inklusive der stabilen Frisur von Gitarrist Ian D’Sa (mit Ukraine-Herz-Aufkleber auf seiner Stratocaster), die wahrscheinlich bauliches Vorbild für das Dockland im Hamburger Hafen war. Nur am Schlagzeug von Billy Talent gab es schon beim letzten Konzert in der Sporthalle vor sechs Jahren ein neues Gesicht: Gründungsdrummer Aaron Solowoniuk ist an Multipler Sklerose erkrankt, seit 2016 wird er durch Jordan Hastings von Alexisonfire sowie – auch dieses Jahr in der Sporthalle – Loel Campbell vertreten.
Billy Talent in Hamburg: Sänger Benjamin Kowalewicz erklärt die Hausregeln
Der Auftakt mit den Klassikern „Devil In A Midnight Mass“ und „This Suffering“ testet schonmal die Stimmung im Innenraum und auf den Rängen: Ja, alle sind voll dabei bis in die letzte Reihe, auch bei „I Beg To Differ (This Will Get Better)“ vom im Januar 2022 erschienenen neuen Album „Crisis Of Faith“, das wie seine beiden Vorgänger „Dead Silence“ (2012) und „Afraid Of Heights“ (2016) in Deutschland die Chartsspitze erklommen hatte.
- Tocotronic in Hamburg: „Aber hier leben, nein danke“
- Kraftklub mit vielen Statements: Und alle rasten aus!
- Zoe Wees: „Ich musste mich reifer geben, als ich bin“
Sänger Benjamin Kowalewicz, der immer noch schneidende Höhen und wüstes Geschreie beherrscht, sieht das Gebrodel vor sich mit Wohlgefallen, erinnert aber sicherheitshalber noch mal an die Spielregeln bei einem Billy-Talent-Konzert: „Ich weiß, einige Jungs mögen es verrückt und wollen Spaß haben. Das ist cool, aber geht verdammt noch mal nach hinten, verletzt nicht die Leute hier vorne. Hier auf einem Billy-Talent-Konzert helfen wir jemandem hoch, wenn er hingefallen ist. Dies ist eine Gemeinde der Liebe, der Akzeptanz und Toleranz.“
Konzert von Billy Talent in Hamburg: In 90 Minuten werden 21 Lieder rausgekloppt
Nachdem das geklärt ist, kann es weitergehen mit zackigem Alternative-Rock mit Einsprengseln von Punk bis Prog. In einem hohen Tempo sowohl während der Songs als auch in den kurzen Atempausen dazwischen werden in knapp 90 Minuten 21 Songs rausgekloppt: „Pins And Needles“, „Try Honesty“, „Fallen Leaves“, „Devil On My Shoulder“, zack, zack. Benjamin Kowalewicz dirigiert die Pogo-Kreisel in der Menge und schämt sich beinahe für einen kurzen Popstar-Moment: „Ich hasse es, wenn andere Bands das tun“, gibt er zu und bittet trotzdem das Publikum vor dem getragenen „The Wolf“, die Halle mit ihren Handy-LEDs zu illuminieren.
Der Kracher „Red Flag“ beendet traditionell den Konzertabend ohne Zugaben. 7000 erschöpfte Fans wanken zu den Garderoben oder balancieren ihre Becherstapel zu den Pfand-Rückgaben. Am Fanartikelstand steht eine Gruppe Jungs, die bereits durchgeschwitzte Billy-Talent-Shirts der aktuellen Tour tragen. Augenscheinlich kriegen manche von dieser Band nie genug. Oder brauchen einfach nur ein frisches Hemd.