Hamburg. 7000 Fans feiern in der ausverkauften Sporthalle die kanadische Rockband, die keinesfalls für Amerikaner gehalten werden will.

Mit den USA wollen sie nichts zu tun haben. „Wir kommen aus Toronto/Ontario“, stellt Benjamin Kowalewicz klar. Die Herkunft war vielen kanadischen Bands in der Präsidentschafts-Ära von George W. Bush wichtig, nach der Wahl von Donald Trump wird sie erneut ausdrücklich betont. „Zu uns soll jeder kommen, egal ob er schwul, transsexuell oder hetero ist, ob weiß oder schwarz, ob Christ, Moslem oder Jude.“ Kowalewicz wettert gegen Ausgrenzung. Begeisterter Beifall ist ihm für dieses Statement in deutschen Konzerthallen sicher. Bands wie Billy Talent sind stolz auf ihre kanadische Heimat, in der Toleranz großgeschrieben wird und es keine Gettoisierung in den Großstädten gibt.

„Wir sind froh, wieder da zu sein“, ergänzt der Sänger mit den tätowierten Armen. In diesem Jahr hat Billy Talent mit „Afraid Of Heights“ ein neues Album herausgebracht, jetzt sollen die neuen Songs wie „Louder Than The DJ“, „The Crutch“ oder „Big Red Gun“ auch live vorgestellt werden. „Afraid Of Heights“ belegte Nummer eins in den deutschen Hitparaden, die Sporthalle ist – nicht überraschend – seit Wochen ausverkauft, die kanadische Band hat eine stetig wachsende Anhängerschaft.

Vom ersten Akkord an spielen die vier Musiker ein volles Brett, die Fans machen sofort mit. Bis zum Ende der mit 7000 Zuschauern brechend vollen Halle sieht man erhobene Arme, die den Rhythmus mitklatschen. Mit „Devil In A Midnight Mass“ beginnt die Show, Kowalewicz schreit den Text heraus und feuert das Auditorium an, stoisch stehen Bassist Jonathan Gallant und Gitarrist Ian D’Sa rechts und links außen und kreieren mit dem hinter ihnen thronenden Schlagzeuger Jordan Hastings einen energetischen Rocksound.

Besonderer Clou ist eine Ruder-Choreografie

Hastings von der Band Alexisonfire ersetzt bei der laufenden Tour Drummer Aaron Solowoniuk, der an Multipler Sklerose erkrankt ist und auch schon bei den Aufnahmen für „Afraid Of Heights“ nicht mitmachen konnte. Einen Euro von jeder Konzertkarte stiftet die Band für eine kanadische Einrichtung, die sich um MS-Kranke kümmert. Soziale Themen kommen in vielen Songs von Billy Talent vor. Die Texte handeln unter anderem von Umweltzerstörung, psychischen Erkrankungen und sozialem Ungleichgewicht. Billy Talent hat mehr zu erzählen als die üblichen männlichen Rock-Klischees. Ihre Fans lassen sich immer neue Formen einfallen, um ihre Freude zu zelebrieren.

Crowdsurfen und Pogo-Tanzen sind passé, jetzt werden mitten in der dicht stehenden Menge Kreise gebildet, in denen man in hohem Tempo hintereinander herläuft wie beim Aufwärmen in einer Sporthalle. Besonderer Clou ist eine Ruder-Choreografie. Plötzlich sitzen etwa 100 Fans auf dem Boden der Sporthalle und zeigen kollektives Trocken-Luft-Rudern. Mit großem Spaß beobachtet Kowalewicz die Szenerie. Als die Masse zu eng an die Absperrgitter gedrückt wird, fordert er alle auf, einen Schritt zurückzugehen. „Ihr sollt Spaß haben, aber niemand soll sich verletzten. Und schubst keine Mädchen!“

Fans haben einen Heidenspaß

Der Ausgelassenheit tut das keinen Abbruch. Die Fans haben einen Heidenspaß. Gleiches gilt für die Alternative-Rocker aus Toronto, aus dem geradlinigen Punkrock ihrer Anfangszeit hat sich ein komplexerer Hardcore-Stil entwickelt, aber auch Blues-Rock-Nummern wie „Devil On My Shoulder“ und „Red Flag“ finden sich im Repertoire. Gitarrist Ian D’Sa glänzt dabei mit ein paar ausgedehnten Soli und Einsatz seines Wah-Wah-Pedals.

Dreieinhalb Stunden dauert dieses vollgepackte Rockkonzert, denn Billy Talent nimmt immer kanadische Bands mit auf Tour, um sie vor vielen Fans zu präsentieren. Dieses Mal sind die hier noch ziemlich unbekannte Punkrock-Band Dirty Nil und Monster Truck dabei. Vor allem Monster Truck überzeugt mit Blues-Rock alter Schule und langen Gitarren-Improvisationen, wie sie Ende der 60er-Jahre in Mode kamen. Am 2. April 2017 ist Monster Truck wieder in Hamburg, dann im intimeren Uebel & Gefährlich.