Hamburg. Das Stück “Jeeps“ im Malersaal des Schauspielhauses ist lustvoll befreit und trifft zugleich den Nerv der Zeit. Die Theaterkritik.

Erben bringt den einen unverhofften Segen – den anderen nichts. „400 Milliarden Euro pro Jahr werden vererbt, jedes fünfte Kind ist arm“, erklärt Daniel Hoevels als Arbeitsagentur-Beamter Armin. Die Milliarden wechseln zu einer Generation, die dies sozusagen in der Eierstocklotterie gewonnen hat, also in eine wohlhabende Familie hineingeboren wurde.

Gerecht ist das natürlich nicht. Und so wird nun das gesellschaftliche Experiment einer Erbschaftslotterie durchdekliniert, weshalb sich die Mittellosen auf billigem Plastikgestühl im Wartesaal zusammenrotten. Die Arbeitssuchenden lassen sich bald nur noch von ihren Kindern vertreten, weil die weniger Platz wegnehmen.

Schauspielhaus: Erbschafts-Satire „Jeeps“ – pointenreich

Autorin Nora Abdel-Maksoud („Café Populaire“) erzählt in ihrer neuen, hochtourigen Erbschafts- und Bürokratie-Satire „Jeeps“ die Geschichte dieser Reform, bei der nun also alle im Jobcenter auf ein Los hoffen können – aber auch die ehemals Privilegierten, in einem eigenen Wartesaal versuchen, sich ihre ehemalige Habe nach dem Zufallsprinzip zu sichern.

In Heike M. Goetze hat Abdel-Maksoud eine furchtlose Regisseurin gefunden, die das ganze komödiantisch aufs feinste im Malersaal des Schauspielhauses aufkocht – und am Ende in einem total durchgedrehten Splatter implodieren lässt. Das ist tempo- und pointenreich anzuschauen und – bei allem Ernst des Themas – ein großer, lohnender Theaterspaß!

Angelika Richter spielt Ex-Wohlhabende mit beißender Ironie

Wer ein Los-Anliegen hat, muss zunächst an dem übereifrigen Sachbearbeiter Gabor vorbei. Jan-Peter Kampwirth spielt dieses an Überidentifikation mit seinem Verwaltungsberuf leidende Wesen („Ich mag die Haptik des Büroalltags“) mit Blondperücke, blasser Brille, Pollunder in Patchwork-Farben und viel kleinmütig-heiligem Ernst. An die regelmäßig vor ihm sitzende langzeitarbeitslose Schriftstellerin Maude, die Eva Maria Nikolaus mit einer Mischung aus Stolz und fehlender Aggressionshemmung gibt, erinnert er sich nicht. Zieht ihr aber mit Wollust das mühsam erwirtschaftete Pfandgeld von der Grundsicherung ab.

Die ehemals wohlhabende Silke, mit beißender Ironie gespielt von Angelika Richter, wiederum versucht sich mit einem Start-up „Laptops in Lederhosen“ über Wasser zu halten und will per Los die väterliche Eigentumswohnung zurück. Am Ende muss sie aber erleben, dass es in der Lotterie nicht nur Immobilien und Barvermögen zu gewinnen gibt – sondern leider auch Schulden. Zufallsprinzip eben.

"Jeeps" im Schauspielhaus – mit Eierlikör fürs Publikum

Das fabelhaft aufspielende Ensemble hält den hochgejazzten Takt schlanke 90 Minuten lang. Und man erschrickt ein wenig darüber, wie einfach es doch ist, sich hier auf Kosten anderer zu amüsieren. Zwischendurch wird munter Eierlikör im Publikum verteilt. Und die Souffleuse muss fast in Pollesch-Manier auch mal Text beisteuern.

Der titelgebende Geländewagen, jene „schwarz glänzende Schaumkrone des Spätkapitalismus“, gehört ausgerechnet dem Beamten Gabor, der bei Klamauk-Witzen über die Analogie kleiner Geschlechtsteile den Humor verliert, aber der Souffleuse beichtet: „Ich weiß, dass kein Mensch dieses Auto braucht.“ In Hoevels überdrehtem Armin hat er einen Kollegen aus der Vorhölle, der ihm schon mal den Sitzball unterm Hintern wegschießt. Aber irgendwann fliegt sowieso alles in die Luft.

Jeeps: Abdel-Maksoud beherrscht Klaviatur des Dramatischen

Wer zuletzt lacht, heißt es so schön und die dreckigste Lache von allen gehört der sich zwischen gigantischen Bananen verbergenden, von Simon Brusis teuflisch gegebenen Riesenspinne, die erst genüsslich Äpfel verspeist, aber eigentlich den ganzen Abend lang auf ihren großen Auftritt lauert und der ist – sehenswert.

Nora Abdel-Maksoud beherrscht die Klaviatur des Dramatischen und lässt das Geschehen in den totalen Wahnsinn delirieren. Und Heike M. Goetze, die in ihrer ersten Arbeit am Schauspielhaus mit Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ einen zwar toll konsequenten, aber etwas schwer zugänglichen Kunst- und Abstraktionswillen bewies, zeigt hier, nach einem unheimlichen Suspense-Beginn, dass sie auch Slapstick und Schmiere kann.

"Jeeps" im Schauspielhaus: lustvoll befreit und am Nerv der Zeit

Sogar Action beherrscht sie. Immer wieder hallt der Lärm jagender Düsenjets ohrenbetäubend durch den Saal. Auch manche Explosion. Das Bühnenbild hat sie ebenfalls originell in einer Mischung aus Verwaltungshölle und gigantischer Bananenstaude gestaltet. Und die tollen Mustermix-Kostüme gleich dazu.

Nicht vergessen wird dabei die bitterböse gesellschaftskritische Ebene, in der die bis zur totalen Erschöpfung Wartenden als „Opferwürste“ gedemütigt werden, seltsame Anstaltskluft tragen müssen und einen Chor der Ausgegrenzten bilden. So lustvoll befreit, dabei zugleich am Nerv der krisengebeutelten Zeit, war lange keine Inszenierung. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.

„Jeeps“ weitere Vorstellungen 27.11., 28.12., 29.12., jew. 19.30 Uhr, Malersaal im Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de