Hamburg. Matthias Spaan inszeniert die Tragödie „Romeo und Julia“ im Jungen Schauspielhaus mit großer Klarheit – Julia treibt das Drama voran.

Ein riesiger Baum ragt auf der Drehbühne des Jungen Schauspielhauses in Hamburg empor. Er ist so sehr in die Breite gegangen, dass seine Äste von zwei Metallstangen gestützt werden müssen. Sie sind von Bühnenbildnerin Anna Armann aber stark genug angelegt, um ein Baumhaus zu tragen.

Hier nun entwickelt sich die ungewöhnliche Liebesgeschichte von Romeo und Julia, die auch die zwei bitter verfeindeten Familien Capulet und Montague im italienischen Verona nicht aufhalten können.

Theater Hamburg: Konzentrierte Version des Klassikers

Es wurde mal wieder höchste Zeit für einen echten Klassiker am Jungen Schauspielhaus. Liegen die Tage von „Hamlet” und „Ein Sommernachtstraum” doch schon einige Jahre zurück. Nun also Romeo und Julia, der William Shakespeare-Klassiker schlechthin.

Regisseur Mathias Spaan und sein Team setzen ganz auf die Macht dieser Liebesgeschichte gegen alle Widerstände in einer sehr fokussierten, konzentrierten Version. Das alles übersetzt von Sven-Eric Bechtolf und Wolfgang Wiens in einer Fassung von Spaan und der leitenden Dramaturgin Stanislava Jević.

Junges Schauspielhaus: Inszenierung wirkt glaubhaft

Das ist eine wohltuende, beinahe nüchterne Setzung nach all den Pop-Vereinnahmungen der Vergangenheit. Die Figuren wirken absolut heutig und glaubhaft. Das liegt auch an einer gekonnten, unerwarteten Wendung. Denn hier ist es Julia Montague, die auf einer Feier Romeo Capulet erblickt und sich in ihn verliebt. Jedoch soll er nun gegen seinen Willen mit einer adligen Dame verheiratet werden.

Die Hauptpersonen sind inhaltlich ausgetauscht, das Drama kehrt sich damit ein wenig um, weil Julia den Romeo-Text spricht und die Handlung vorantreibt. In diesem Fall bringt sie Tybalt um, den sie bedrohenden Cousin Romeos, und wird in die Verbannung nach Mantua geschickt. Was auf den ersten Blick konstruiert klingt, funktioniert erstaunlich gut.

Fokus liegt auf dem sozialen Geschlecht

Schon Shakespeare hatte sich schließlich wenig um Geschlechter-Konventionen geschert. Erst Ende der 1660er-Jahre durften in England auch Frauen auf der Bühne spielen. Vorher wurden alle Rollen von männlichen Darstellern übernommen.

In dieser Inszenierung liegt der Fokus sehr klug auf dem sozialen Geschlecht – und weniger auf einer romantischen jungen Liebe. Noch bevor Julia die Übermacht des Gefühls zu Romeo wie ein Blitz trifft, fühlte sie sich übrigens zu Rosalinde hingezogen – sie ist jemand, der sich Liebesbeziehungen mit beiden Geschlechtern vorstellen kann. Auch dies wird angenehm unverkrampft transportiert.

Junges Schauspielhaus: Großartige Darstellende

Die Geschichte bleibt trotz zeitgemäßer Wendung immer die Ur-Geschichte. Dass sie überzeugt, liegt auch am großartigen Spiel aller Beteiligten. Jara Bihler wirkt als Julia in jeder Sekunde glaubhaft. Sie strahlt Kraft aus, eine innere Stärke und einen furchtlosen Willen. Mitreißend gibt sie eine junge Frau, die gegen alle widrigen Umstände stets ganz bei sich bleibt.

Auch Nico-Alexander Wilhelm glänzt als weicherer Romeo, der erst schön von seiner ihn bemutternden Amme (wunderbar: Christine Ochsenhofer) gebadet wird. Gern flüchtet er sich zu ihr vor seinem tyrannisch tobenden Vater, den Hermann Book gewohnt souverän als Patriarchen gibt. Aber als es darauf ankommt, hört er auf sein Herz und wird mutig.

Romeo und Julia: "Liebe ist scheiße"

Severin Mauchle kann im schwarzen Rollkragenpullover und mit durchtriebenem Blick aus der Nebenrolle des Tybalt ebenfalls Funken schlagen. Und Sebastian Weiss macht aus Julias Freund Mercutio einen liebenswert nerdigen wahren Buddy fürs Leben, der zum Wohle der Freundschaft alles gibt. Josephin Thomas hat alle Beteiligten in zeitgemäße Alltagskostüme gekleidet – nur die Amme und Pater Lorenzo, ebenfalls gespielt von Book, tragen historische Aufmachungen.

„Dass Amor, der so liebenswert ausschaut, so grausam werden kann, wenn man ihm traut, das weißt Du doch“, sagt Mercutio etwas altklug zu Julia, die mit jugendlichem Aufruhr ihres Herzens ringt. „Warum. Nur, gelingt es diesem Blinden das Ziel, das er sich aussucht stets zu finden“, sagt Julia erregt. Fazit: „Liebe ist scheiße“. Auch das muss wohl mal so gesagt werden.

Inszenierung kommt ohne große Gesten aus

Sehr elegant löst Regisseur Spaan die erste zarte Liebesbegegnung des Paares. Im Schein zweier Taschenlampen begegnet es sich, landet schließlich in einem schön dezenten Schattenspiel im Baumhaus. „Was Liebe kann, das wird sie immer wagen“, sagt Julia kämpferisch.

Die Inszenierung kommt ohne große Gesten aus, als Tonspur dienen zurückhaltende Rock-Songs von Travis bis zu Radiohead, allein Wilhelm macht aus der Shakespeare Zeile „O teach me how I should forget tot hink“ einen wunderbaren Liebessong zum eigenen Orgelspiel. Sehr frisch wirken darüber hinaus die zeitlos schönen Shakespeare-Zeilen.

Tolle Interpretation, bewegende Liebesgeschichte

Natürlich bleibt auch dieses Duo ohne Happy End. Romeo täuscht mit einem Schlaftrunk seinen Tod vor, doch Julia erreicht die Nachricht darüber nicht, und so liegt sie tot da, als er aufwacht und ihr kurz darauf endgültig nachfolgt. Die große Versöhnung der Familien, sie bleibt aus. Der Rest sind Verlust und Trauer und zwei im Jenseits verbundene Liebende.

Es ist eine mit großer Klarheit erzählte, sehr bewegende Liebesgeschichte. Und die Chance einer wirklich grandiosen Begegnung mit dem klassischen Shakespeare-Text. Unbedingt empfehlenswert.

„Romeo und Julia“ ab 13 Jahre, wieder (Restkarten) Mo 14.11., 19.00, Di 15.11., 10.30, Mi 16.11., Sa 19.11. u. 20.-22.12., jew. 19.00, Junges Schauspielhaus, Wiesendamm 28, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de