Hamburg. Der Große Saal wurde (beinahe) zum intimen Club. Und die viel gerühmte Akustik? Geriet tatsächlich zur Nebensache.
Vorne kurz, hinten lang – das gilt nicht nur für den mondän ergrauten Kopfputz, sondern auch für den schwarzen Frack, der sich rückwärtig elegant bis fast zu den knallroten Socken kräuselt. Doppelter Heckspoiler, gewissermaßen. Geschmeidig, geländegängig und trotzdem der Seriosität des Ortes angemessen. „Es fühlt sich so erwachsen an“, staunt Robbie Williams in den Großen Saal der Elbphilharmonie und hält sofort ein jungenhaftes Grinsen dagegen. „Wir bringen das zusammen hinter uns, okay?“
Robbie Williams hätte statt eines souveränen Rundflugs durch ein Vierteljahrhundert Solokarriere auch das Telefonbuch von Stoke-on-Trent vorlesen können, die Fans wären ähnlich überschwänglich gewesen. Gut, die junge Frau, die es wagt, auf ihrem Handy herumdrücken, statt ihm sichtbar ergriffen zu lauschen, vielleicht nicht – aber selbst die wird aller Wahrscheinlichkeit nach völlig beseelt nach Hause gehen. Dieser Bühnenkünstler ist ein Crooner alter Schule, sehr lässig und – ja, sorry – auch einfach immer noch ganz schön sexy.
Robbie Williams: Ein Clubkonzert vor 2100 Menschen in der Elbphilharmonie
2100 Zuschauerinnen und Zuschauer, das fällt für Williams quasi unter „intimes Clubkonzert“. Entsprechend offensiv flirtet er, lüpft hier den Frack und lässt da Tribal-Tattoos aufblitzen („Ich war der erste, der die hatte!“), kann sich nonchalant bewegen, kann Nähe nicht nur aushalten, sondern herstellen, die ein oder andere homoerotische Schäkerei inklusive. Die Chemie stimmt. Bisschen schade vielleicht, dass er sich nicht hat aus dem Schnürboden abseilen lassen, kopfüber, wie zu seinen allerbesten Zeiten.
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Stattdessen ein – womöglich hier und da ganz leicht geknickter? – Achtungsapplaus für die ausführlich überbrachte Information, dass Robbie nun auch schon seit 17 Jahren in einer festen Beziehung sei. Und vier Kinder habe. Kann man nichts machen, weiter im Text, das Verzückungsverlangen überwiegt. „Love My Life“ an dieser Stelle, soweit ist man sich dann doch einig, genau hier, genau jetzt. „Can you give me a hug?“ bettelt ein Banner im obersten Rang wenig subtil (und dabei doch verblüffend brav), „Pleeease!!!“
Berührende Offenheit – und Songs von ganz alt bis ganz neu
Im „mittleren Alter“ von 48 Jahren hat man es nicht mehr so eilig, und so stehen nach knapp zwei immer wieder großzügig in Magentalicht getauchten Konzertstunden 16 Songs von ganz alt („Angels“) bist ganz neu („Lost“) auf der Setliste, wobei der Nostalgieanteil überwiegt. Hier kommen Menschen zusammen, die sich noch an Zeiten erinnern können, in denen sie Feuerzeuge statt Handydisplays geschwenkt und sich dabei die Daumenkappen verbrannt haben. An Zeiten, in denen man tatsächlich immer ein Feuerzeug einstecken hatte! Dazu serviert Williams reichlich Anekdoten und Ausschnitte aus dem längst nicht nur glamourösen Starleben.
Da kommt dann auch die durchaus berührende Offenheit des Therapie-Erfahrenen durch. Kokainkonsum, Ecstasy, jede Menge Alkohol, jede Menge Rückfälle und Selbstzweifel – womöglich Berufsrisiko in dieser Branche. Das zu überleben, ist eine Leistung. Diese Dinge können auch ganz anders ausgehen – ein Amy-Winehouse-Konzert in der Elbphilharmonie wird es nicht geben.
Die Akustik der Elbphilharmonie? Nebensache!
Aber: „No Regrets“! Bevor das Auditorium in Melancholie oder gar Schwermut versinken kann, schwingt das Pendel gekonnt wieder in die andere Richtung: Spätestens „Rock DJ“ macht aus dem Großen Saal eine Disco. Die Akustik in der Elbphilharmonie sei ihm egal, hat Robbie Williams vor dem Auftritt zu Protokoll gegeben.
Und er dürfte damit die Mehrheit der Anwesenden (am Flügel übrigens mit dem britischen Produzenten Guy Chambers auch ein entscheidender Komplize der ersten Stunde) auf seiner Seite haben: Es ist tatsächlich vollkommen nebensächlich, auch in den wenigen Momenten, in denen die Wucht des Orchesters der Neuen Philharmonie Frankfurt unter der Leitung des Dirigenten Steve Sidwell den Sound zu bestimmen scheint.
Robbie Williams: Es gibt Abende, die kriegt kein Algorithmus kaputt
Es geht hier um etwas ganz anderes. Wieder Mitte 20 zu sein, zum Beispiel. Tanzen, singen, juchzen, bisschen Warmherzigkeit, bisschen Energie, bisschen Kitsch auch, na klar. „I just wanna feeeel...“.
Das gilt für die Fans, die in Erinnerungen schwelgen, aber auch für Williams selbst, der in Deutschland immer eine besonders treue Anhängerschaft hatte („Ihr habt mich mehr beschützt als ihr das wahrscheinlich je erahnen könnt“) und der „She’s The One“ kurzerhand einer Andrea aus der dritten Reihe widmet – weil die, wann immer er zu ihr geschaut habe, so versonnen gelächelt habe.
Dass das geigenlastige Neu-Arrangement von „Angels“ von einer „Beethoven-KI“, einer mit der Mondscheinsonate gefütterten Künstlichen Intelligenz also, geschrieben wurde und hier zur Weltpremiere kam? Geschenkt. Es gibt Songs und Abende, die kriegt kein Algorithmus kaputt.