Hamburg. Die Familienkomödie „All ünner een Dannenboom“ eröffnet die Weihnachtssaison. Das Stück beruht auf einem TV-Film.
Beifall schon beim Öffnen des Vorhangs – das hat es vom Publikum für die Kulisse im Ohnsorg-Theater länger nicht gegeben. Ausstatterin Beate Zoff hat in moderner Küche mit großer Durchreiche, im Wohnzimmer mit einem Ledersofa, zwei Sesseln sowie einem Esstisch für acht Personen ein sehr geschmackvolles, bürgerlichen Ambiente geschaffen. Tannenzweige an den Wänden, Tannenbaumständer im Zimmer.
Hier, im Großen Haus, spielt nun zwei Monate lang „All ünner een Dannenboom“. Der am Sonntagabend im Ohnsorg so früh wie nie gestartete Weihnachtsspaß beruht auf dem Roman und Fernsehfilm „Alle unter einer Tanne“ des Kabarettisten und Drehbuchautors Lo Malinke. Der Film lief 2014 in der ARD und wirft ein etwas anderes Licht aufs heutige Patchwork-Familienleben.
Ohnsorg-Theater startet in die Weihnachtssaison
Im Zentrum stehen Elli (Meike Meiners) und Robert (Till Huster), die bereits seit drei Jahren geschieden sind, ihren drei erwachsenen Kindern davon aber noch immer nichts erzählt haben. Wie jedes Jahr wollen die Ex-Eheleute – er ein gut situierter Zahnarzt, sie eine bekannte Paartherapeutin und Bestsellerautorin (Buchtitel: „Nichts als die Wahrheit“...) – in ihrem trauten Heim zu Weihnachten eine heile Familie vorgaukeln. Alle Jahre wieder ein (schein-)heiliges Spiel. Diesmal indes eines mit Hindernissen.
Und das nicht nur, weil Robert an Heiligabend gleich mit der Tanne ins Haus fällt und darob seine Rückenprobleme wieder auftreten. Er und Elli haben den Plan diesmal ohne ihre jeweiligen, gar nicht mehr so neuen und jüngeren Partner gemacht: Statt der Kinder steht plötzlich Roberts Flamme Chrissi (Caroline Kiesewetter) vor der Tür, mit Gepäck und mit selbst gebackener Maracuja-Sahnetorte als Mitbringsel – lecker.
Bei der Bescherung und beim Abendessen soll endlich Klartext geredet werden, fordert sie – weniger verdaulich, insbesondere für die Gastgeberin. Warum soll er denn jetzt wie üblich das Haus verlassen, fragt sich nun Ellis Freund, der 22 Jahre jüngere Fahrlehrer Micha (Flavio Kiener). Doch dann heißt es bereits: Ihr Kinderlein kommet. Es klingelt erneut an der Tür ...
Slapstick, aber auch melancholische Zwischentöne
Ohnsorg-Oberspielleiter Murat Yeginer hat „All ünner een Dannenboom“ mit Sinn für Slapstick, Komik, weihnachtlichen Gesangseinlagen, aber auch für melancholische Zwischentöne inszeniert. Der Regisseur überspannt den humoresken Bogen nicht, er baut ihn vor allem im zweiten Akt geschickt auf. Gewiss, im Haus brennt im wortwörtlichen Sinn auch mal der Baum, oder eine Sicherung springt heraus. Trotz der Turbulenzen gelingen Yeginer und dem harmonierenden Ensemble auch feine Charakterskizzen.
Allen voran Meike Meiners als ehrgeiziges Familienoberhaupt Elli, die zwar das „ehrliche Miteinander“ predigt, zum vermeintlich Wohl ihrer Lieben das falsche Spiel aber noch forciert. Ohnsorg-Ensemblemitglied Meiners, die das Stück sowie einige Weihnachtslieder selbst ins Plattdeutsche übersetzt hat, gibt ihrer Figur auch als Meisterin der Verdrängung Konturen. Chrissi, die Partnerin ihres Ex-Mannes, erklärt sie gegenüber den Kindern kurzerhand zu ihrer „Jugendfreundin“ – nur damit die Fassade vorerst aufrechterhalten bleibt.
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Als aufgestiegene Sprechstundenhilfe ist Neu-Ensemblemitglied Caroline Kiesewetter als Lady in Red so etwas wie die komödiantische Kirsche auf der Sahne. Gekonnt überreizt sie ihre Chrissi als eine überaus selbstbewusste Frau, erweist sich am Ende jedoch als eine, die Roberts Ex die Augen öffnet.
Laura Uhlig hinterlässt den stärksten Eindruck
Die männlichen Protagonisten kontrastieren geschickt mit diesen bestimmenden Frauen. Till Huster spielt Zahnarzt Robert als sauberen Softie, kontert Ellis Ironie gut und gern mit kernigem Sarkasmus. Und Flavio Kiener spielt Ellis gutmütigen und leidensfähigen Lover Micha bei seinem Ohnsorg-Debüt konsequent und mit vollem Körpereinsatz auf Plattdeutsch. Der Schweizer dürfte damit nun sämtliche Hamburger Theater durchhaben, vom Thalia bis zum kleinen Monsun.
Von den erwachsenen Kindern hinterlässt Laura Uhlig als älteste Tochter Susanna den stärksten Eindruck. Im schwarzen Hosenanzug gibt sie die stets angespannte und humorlose Geschäftsfrau mit wenig Sinn für Geschwisterliebe und stört sich als Einzige am Schwulsein ihres Bruders Tobias (Cem Lukas Yeginer), der statt ein Komponist großer Werke nur einer für Werbe-Jingles geworden ist. Und als Nesthäkchen Leonie spielt Lara-Maria Wichels leidend die typische Papa-Tochter. welche der gesamten Familie bisher ihre Schwangerschaft verheimlicht hat.
Ohnsorg-Publikum gibt minutenlang Beifall
Nur Heiner, Susannas Ehemann, kriegt peu a peu im familiären Dauerstreit fast alles mit. Als passionierter Schweiger zeigt Colin Hausberg mit gelegentlichen Nicken oder einem gequälten Lächeln, dass Komik auch ohne Worte funktionieren kann. Bis es plötzlich aus ihm herausbricht. „Dat snackt!?“, wundert sich da Schwager Tobias. Nur einer von vielen Brüllern an diesem gar nicht so heiligen Abend, den das Premierenpublikum mit minutenlangem Beifall feiert.
Fazit: Es muss nicht immer Alan Ayckbourn sein, um Weihnachten komische Seiten und Bilder abzugewinnen. Wie etwa beim Komödien-Klassiker „Schöne Bescherungen“ des englischen Erfolgsdramatikers, der 2017 in der plattdeutschen Version „All Johr wedder“ im Ohnsorg spielte und in einer Neufassung Ende November in der Komödie Winterhude Premiere haben wird. Dann ist zumindest das Mitsingen von Weihnachtsliedern auch etwas jahreszeitgemäßer als derzeit noch im Großen Haus.
„All ünner een Dannenboom“ wieder Di 8.11., 19.30., bis 14.1.2023, Ohnsorg-Theater (U/S Hbf.), Heidi-Kabel-Platz 1, Karten zu 29,12 bis 37,- unter T. 35 08 03 21; www.ohnsorg.de