Schauspieler und Schriftsteller Matthias Matschke spricht über Chefs, Vorbilder und was er Luisa Neubauer gern mal fragen würde.
Er war der etwas trottelige Hagen in der Erfolgsserie „Pastewka“, er hat gerade eine neue Fassung von Roald Dahls Kinderbuch „Charlie und die Schokoladenfabrik“ eingelesen (und ist am 12. November im Winterhuder Fährhaus zu Gast) – zudem hat er seinen ersten Roman geschrieben, „Falschgeld“, der in Hamburg bei Hoffmann und Campe erschienen ist. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht Matthias Matschke über das Schreiben und das Lesen, die Suche nach eigener Identität und über seine unendliche Lebensgier.
Das sagt Matthias Matschke über ...
… die Produktion von Hörbüchern wie „Achtsam morden“ oder „Charlie und die Schokoladenfabrik“:
„Es ist wie eine Bergtour, bei der man sich einteilen muss, auf welcher Hütte man haltmacht. In der Regel habe ich drei, vier Tage Zeit, um das jeweilige Buch einzusprechen. An einem Tag kann ich meistens fünf Stunden arbeiten, dann ist das Mikrofon gnadenlos und erkennt, dass die Stimme müde ist. Weil das auch der Zuhörer bemerken würde, ist es wichtig, dass man dann aufhört. In dieser Zeit schaffe ich 50 Seiten, wenn es ein komplizierter Text mit ganz viel Dialogen und verschiedenen Stimmen ist wie bei „Charlie und die Schokoladenfabrik“. Bei weniger komplizierten Büchern kann ich auch mal 80 Seiten an einem Tag schaffen.“
… seine überschäumende Lebensgier und das erste Buch, das er geschrieben hat, „Falschgeld“:
„Es ist schon verrückt, wie viel mich in dieser Welt interessiert, und ich fürchte fast, dass ich selbst denken würde, dass ich etwas verpasst habe, wenn ich 94 Jahre alt werde. Diese überschäumende und auch etwas überhebliche Lebensgier versuche ich, so gut wie möglich auszuleben. Weil das so ist, begegnen mir immer wieder Dinge jenseits des Schauspielerdaseins, die mich interessieren. Der Roman, den ich geschrieben habe, gehört dazu. Ich habe schon immer ein Faible gehabt für Geschichten, und das ist es, was ich gemacht habe: Ich habe kein Buch geschrieben, ich habe eine Geschichte erzählt.“
… das Schreiben eines Romans:
„Schreiben ist wie Angeln. Wenn man eine Schnur ins Wasser hängt und wartet, dann beißt irgendwann etwas an, dann kommen die Geschichten zu einem, und gehen immer weiter. Natürlich gibt es dabei Hänger, und ich habe mehr als einmal bei Passagen gedacht: Das ist ja wohl das Profanste, was du je gelesen hast, und dann ist es auch noch von dir. Aber in solchen Situationen wartet man einfach ein bisschen, und es geht weiter. Man braucht diese temporären Niederlagen, aber grundsätzlich sind die Geschichten da und erzählen sich von allein.“
… eine Autofiktion im Gegensatz zur Autobiografie:
„Man kann in seinem eigenen Namen Geschichten erzählen, es muss aber nicht zwingend die eigene Geschichte sein. Man fiktionalisiert das eigene Leben, um es anderen Menschen zugänglich zu machen. Es kommt hinzu, wie schwer es ist, sich zu erinnern. Das ist das Kernthema meines Romans: Was ist erinnern? Einerseits fällt es uns schwer, uns an unsere Kindheit und Jugend zu erinnern, andererseits ziehen wir genau aus dieser Erinnerung unsere Identität und müssen uns deshalb fragen, wer wir eigentlich sind. Was heißt es denn, wenn ich sage, dass ich Matthias Matschke bin? Man braucht eine Art Reflexion, um zu wissen, dass man selbst man selbst ist, und das wiederum ist eine erstaunliche Erkenntnis. Eine Freundin von mir hat nach dem Lesen des Romans gesagt, dass sie auch Matthias Matschke sei. Damit ist das Ziel eines jeden Schauspielers erreicht, auch wenn er ein Buch schreibt: Wir wollen und wir müssen immer eine Projektionsfläche sein, in der sich andere erkennen und ihrer Identität versichern können. Der Kunstgriff ist: Identifiziert euch mit mir, aber lernt etwas über euch selbst.“
… die Suche nach einem Verlag, die schnell in Hamburg endete:
„Ich hatte das Buch zu zwei Dritteln geschrieben gehabt und bin dann über eine Freundin mit einer Agentin in Kontakt gekommen, Barbara Wenner, die durch Zufall auch noch die Beste war. Sie hat den Roman relativ schnell an Verlage gegeben, und Hoffmann und Campe hat sich innerhalb von einer Stunde zurückgemeldet und gesagt, dass er das Buch haben möchte. Das hat mich sehr erstaunt und beeindruckt. Später haben wir auch Angebote von anderen Verlagen gehabt, aber irgendwie war mir sehr schnell klar, dass es Hoffmann und Campe ist.“
… die Zukunft des Theaters in der Zeit nach Corona:
„Das Theater in seiner direkten Form ist so ein starkes Medium, das ich mir grundsätzlich um dessen Zukunft eigentlich keine Sorgen mache. Dieses Live-Erlebnis, die direkte Nähe zu den Schauspielern, ist durch nichts zu ersetzen. Dennoch habe ich den Eindruck, dass unsere Staubschicht der Kultur mit einem Wisch wegzuwischen ist, und darunter ist Rohheit. Und wir müssen den Wind flach halten, damit diese Staubschicht erhalten bleibt. Kulturerhalt ist auch der Erhalt von sozialen Zusammenhängen, und wie schnell beides zerbröseln kann, hat uns Corona gelehrt. Das Gleiche gilt für das Selbstwertgefühl eines Schauspielers: Für alle, die glaubten, sich durch ihre Arbeit selbst bestätigen zu können, war die Pandemie eine sehr schwierige Zeit. Wenn es den Zuschauern nicht mehr gibt, bleibt die Frage, ob man selbst genug Spaß hat an dem, was man macht, auch wenn es niemand registriert und wenn niemand applaudiert.“
Der Podcast mit Matthias Matschke:
Matschkes Fragebogen: die Kraft von Ruhe und Besonnenheit
Was wollten Sie als Kind werden und warum?
Pilot. Ich wollte Pilot werden, weil der Beruf alles versprach, was die Achtziger an Versprechungen zu bieten hatten: Zukunft, Internationalität, Freiheit.
Was war der beste Rat Ihrer Eltern?
Entscheide das doch morgen!
Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild?
Das war und ist Robin Williams.
Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt?
Nichts, ich war eher unauffällig.
Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie heute machen?
Da war 1991 etwas in mir, das mir gesagt hat, dass ich versuchen soll, wirklich Schauspieler zu werden.
Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?
Eltern, Lehrer, Freunde.
Auf wen hören Sie?
Kommt darauf an, was es zu entscheiden gibt. Meistens auf den Fifty-fifty-Mix von Herz und Verstand. Also auf mich.
Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?
Es ist für einen Chef die weiseste Verhaltensweise, der Ruhigste am Tisch, der Besonnenste auf dem Platz und der Neugierigste vor Ort zu sein. Das sind die besten Eigenschaften für einen guten Chef.
Was sollte man als Chef auf keinen Fall tun?
Andere erniedrigen. Fällt mit 100-prozentiger Erfolgschance auf einen zurück.
Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?
Das Wichtigste an Geld ist, es nicht als wahren Wert zu betrachten. Geld ist immer Falschgeld. Und es ist auch nicht der Spiegel unseres Selbstwerts.
Duzen oder siezen Sie?
Duzen.
Was sind Ihre größten Stärken?
Ich kann Ideen weiterdenken.
Was sind Ihre größten Schwächen?
Das Aushalten von Konflikten.
Welchen anderen Entscheider, welche andere Entscheiderin würden Sie gern näher kennenlernen?
Luisa Neubauer.
Was würden Sie ihn oder sie fragen?
Wie hältst du bei dieser Riesenaufgabe, die du für uns bewältigst, den Überblick?
Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht?
Heute um 17.36 Uhr.
Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?
Allein Mittag zu essen.
Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?
Ich arbeite immer. Ich lebe immer.
Wie viele Stunden schlafen Sie (pro Nacht)? Wie gehen Sie mit Stress um?
Acht Stunden. Und ich packe mir den Tag voll mit Arbeit. Aber das ist kein Stress. Stress kann mich führen. Schlechte Energie allerdings raubt mir viel.
Wie kommunizieren Sie?
Mit Linguistik und Semiotik.
Wie viel Zeit verbringen Sie täglich an Ihrem Schreibtisch?
Vier Stunden.
Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcher wäre das?
Versuche herauszufinden, was in deinem Schaffen (z. B. Beruf) wehtut und dazugehört und was in deinem Beruf (z. B. Lebenszeit) wehtut.
Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen?
Und nun das Wetter.