Hamburg. Schlagwerkerin Vivi Vassileva gibt mit dem Polish National Radio Symphony Orchestra ein bemerkenswertes Konzert. Sensationell!
Wer sogar Abfall zum Grooven bringt, muss magische Kräfte haben. Das scheint bei der jungen Schlagwerkerin Vivi Vassileva der Fall zu sein. Ihre Plastikflaschen-Kadenz ist die zauberhafte Zugabe nach einem Auftritt, der schon vorher mitunter Züge eines Beschwörungsrituals hat.
So wie gleich zu Beginn des 2007/2008 entstandenen Konzerts für Schlagzeug und Orchester von Friedrich Cerha, dem Hauptwerk des Abends in der Elbphilharmonie. Während die Perkussionisten vom Polish National Radio Symphony Orchestra am hinteren Rand der Bühne ein tiefes Trommelgrummeln starten, bereitet Vassileva vorne links ihren Einsatz vor.
Elbphilharmonie: Schlagzeuggewitter läutet Konzert ein
Die feingliedrige Frau im roten, ärmellosen Kleid, die beim Auftritt zunächst fast noch ein bisschen schüchtern wirkt, hat jetzt die Körperspannung einer Zeremonienmeisterin. Langsam reckt sie die Arme mit den Schlägeln in der Hand nach oben, spreizt sie über dem Kopf, um dann einen ersten Schlag niedersausen zu lassen. WUMM!
Der Auftakt zu einem wahren Schlagzeuggewitter, das auf die Trommelfelle niederprasselt. Das ist beeindruckend und knackig – aber klanglich fast ein bisschen überpräsent. Trotz der massigen Besetzung haben Bläser und Streicher des polnischen Orchesters unter Leitung von Titus Engel zunächst ein bisschen Mühe sich zu behaupten.
Vassileva spielt Vibraphon fast schon zärtlich
Aber das ändert sich im zweiten Teil des Stücks. Dort inszeniert Cerha eine ganz andere Stimmung, mit hellen Farben der Holzbläser und sirrenden Geigen. Vivi Vassileva geht nach rechts, zu ihrem Vibraphon, das sie fast schon zärtlich spielt. Als würde sie die Metallplatten nicht anschlagen, sondern streicheln. Mit weichen Klöppeln und später auch mit zwei Bögen, die die Töne schwingen lassen. Das Instrument singt, zirpt und summt, von links antwortet die Celesta.
Die Musik scheint für ein paar Minuten zu schweben. Ein wunderbar sphärischer Moment, als Ruhepol vor der virtuosen Show im dritten Teil. Da wirbelt die Solistin am Xylophon, im Dialog mit knappen Motiven des Orchesters. Sie klöppelt wie ein Schwarm voller Spechte – bevor das Stück zum Grummeln des Anfangs zurückkehrt und mit einer weiteren Beschwörungsgeste endet: Alle Schlagwerker und der Dirigent halten sekundenlang die Arme in der Luft. Riesenjubel, natürlich, hochverdient, auch für das tolle Stück.
Elbphilharmonie: Zugabe mit zwei Plastikflaschen
Und dann noch die Zugabe aus dem Recycling Concerto von Mayrhofer, bei der Vassileva auf zwei Plastikflaschen und einem Notenpult eine Fülle an faszinierenden Rhythmen und Sounds klopft, tippelt und raschelt. Ein sensationeller wie sympathischer Auftritt der Perkussionistin. Wenn ihr Lehrer Martin Grubinger, wie angekündigt, im kommenden Jahr die Schlägel aus der Hand legen möchte, muss man sich um seine Nachfolge also keine Sorgen machen.
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Den Beweis, dass auch ein mutiges Programm weit weg vom Standardrepertoire begeistern kann, führen Titus Engel und das Orchester nach der Pause ohne Solistin weiter. Mit den fluktuierenden Farbflächen in Lutoslawskis Mi-parti von 1975/76. Und mit der Sinfonietta von Zemlinsky, in der das Orchester zwar nicht immer die allerletzte Präzision erreicht, aber mit seinem beseelten Klang und schönen Bläsersoli den Gesamteindruck des Abends abrundet.