Hambur. Der Auftritt des NDR Orchesters konnte nicht wie geplant beginnen. Die Orchestermanagerin erntete Buhrufe für ihre Ansage.
- Der Große Saal der Elbphilharmonie musste am vergangenen Donnerstag vor dem Konzert plötzlich geräumt werden
- Für eine Frau wurde der Besuch zum Albtraum
- Die Veranstalter reagierten prompt – und ernteten Buhrufe
Es kommt nicht alle Tage vor, dass der Große Saal der Elbphilharmonie geräumt wird. Am Donnerstagabend konnte das Konzert des NDR Elbphilharmonie Orchesters nicht wie geplant beginnen, weil eine Besucherin in Block E notärztlich versorgt werden musste.
Auf Aufforderung verließen alle Hörer den Saal. Das Piepen der Geräte noch im Ohr, wartete man in den Foyers. Einige tranken sogar Wein in dieser seltsamen Pause, bis wieder der Gong ertönte.
Elbphilharmonie vor Konzert geräumt – Hörer warten im Foyer
Wegen der vorgerückten Zeit entschieden die Veranstalter, auf die „Tragische Ouvertüre“ von Johannes Brahms zu verzichten und das verbleibende Programm ohne Pause durchzuspielen. Verständlich, sollte man meinen, doch Sonja Epping, die Orchestermanagerin und Überbringerin einer schlechten Nachricht, erntete Buhs für ihre Ansage.
Statt wuchtiger Brahmsscher Tutti-Schläge also Sonnenstrahlen, die sich in den triolischen Figuren der ersten Geigen brechen: So zart beginnt das Violinkonzert von Sibelius, und darüber erhebt sich die Sologeige in einer unendlich einsam wirkenden Melodie. Nikolaj Szeps-Znaider spannt die erste Passage zu einem immensen Bogen, der schon alles enthält, von fahl gehauchten Tönen bis zu zornigen Doppelgriffen.
Szeps-Znaiders geigerische Ästhetik, sein intensiver, edler Ton, seine umwerfende technische Mühelosigkeit erinnern an die große jüdische Geigentradition eines David Oistrach, Isaac Stern oder Itzhak Perlman. Seine phänomenale Guarneri–Geige, sie gehörte früher dem großen Virtuosen Fritz Kreisler, tut das Ihrige dazu.
Elbphilharmonie: Bei Tschaikowsky auf Betriebstemperatur
Zu Beginn wirkt Szeps-Znaiders Vibrato noch ein wenig fest, aber sehr bald zeigt er sich in vollendeter Souveränität gegenüber den gefürchteten Schwierigkeiten des Sibelius-Konzerts. Er nimmt sich Zeit zu singen, ist dem Orchester aber bisweilen auch voraus. So ganz bis ins letzte Detail hat der Chefdirigent Alan Gilbert das Zusammenspiel nicht koordiniert, aber Sibelius kann das ab.
Bei der „Pathétique“, der sechsten und letzten Sinfonie von Tschaikowsky, sind die Beteiligten dann auf Betriebstemperatur. Der Komponist, der die meiste Zeit seines Lebens notorisch unglücklich war, starb wenige Tage nach der Uraufführung, was dem Stück einiges an Legendenbildung eingetragen hat. Aber auch ohne Raunen und Herumdeuteln ist die Wirkung der „Pathétique“ immer wieder überwältigend. Immer wieder, weil Tschaikowsky existenziell aufgeladene Passagen, in denen man selbst beim Zuhören nach Luft ringt, gegen federleichte, unterhaltende Abschnitte schneidet.
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Gerade noch haben Fagott und Bratschen mit klagenden Figuren und untergründig scharfen Harmonie in einen seelischen Abgrund geschaut, da tänzelt die Musik schon grazil dahin, als wäre sie von Mozart. Die Soloklarinette verlischt förmlich, begleitet nur von fast unhörbaren Paukentupfern, und im nächsten Moment bricht das Tutti im Fortissimo los. Ein Schock.
Elbphilharmonie: Konzert wurde für Besucherin zum Albtraum
Das alles gestalten die Musiker überaus sprechend, farbig und plastisch. Die Geigen wiegen sich im falschen Walzerrhythmus des Allegro con grazia, das nämlich in Wahrheit ein Fünfvierteltakt ist, die Holzbläser huschen auf Koboldfüßchen durch das folgende Allegro molto vivace. Und wenn das Finale wieder auf die letzten Fragen kommt, glüht der Streicherklang noch einmal auf.
Das Ende hat Requiem-Charakter: Ganz leise weisen Tamtam und Posaune den unausweichlichen Weg. Das Tutti ist da schon verstummt, am Ende steht auch der Puls in den tiefen Streichern still. Der Rest ist Schweigen. Und so mancher Gedanke dürfte noch einmal zu der Dame gehen, für die der Konzertbesuch zu einem Albtraum wurde. Zumindest konnte sie das Konzerthaus wieder auf eigenen Beinen verlassen – wurde inzwischen aber ins Krankenhaus gebracht.