Hamburg. Die Sängerin und bekennende Sabbeltasche gab ein herzerwärmendes Konzert vor 9000 Fans in der Barclays Arena.
Ihre Band und die beiden Sängerinnen stehen schon auf der Bühne, als Ina Müller auf High Heels und im schwarzen Anzug aus der Kulisse kommt und das Publikum in der Barclays Arena mit einem freundlichen „Na, Hamburch“ begrüßt. Mit „Ich halt die Luft an“ beginnt sie ihren zweieinhalbstündigen Auftritt. Der Eröffnungssong drückt ihr Unbehagen über eine düstere Wirklichkeit mit Krieg, Corona, Bilderfluten und überflüssigen Tweets aus. „Ich halt die Luft an, bis alles wieder stimmt, die Wolken sich verziehn, ‘ne gute Zeit beginnt“, singt sie und spricht damit vielen ihrer Fans aus der Seele.
Wenn sie sich beim Publikum dafür bedankt, dass es in die Arena gekommen ist und Geld für ihre Show ausgegeben hat, ist das mehr als die übliche Dankes-Floskel. Die Tochter eines Kleinbauern, die als Pharmazeutisch technische Assistentin ihr Geld verdient hat, bevor sie Karriere gemacht hat, kommt aus einfachen Verhältnissen und weiß, was gestiegene Preise für Lebensmittel und Gas bedeuten – und dass 50 Euro Eintritt für manchen ihrer Fans viel Geld sind. Die 9000 Zuhörer in der nicht ganz ausverkauften Arena bekommen eine Menge Unterhaltung für ihr Geld.
Gast Elias schwooft mit Ina Müller über die Bühne
19 Songs hat Ina Müller im Programm, aber das Publikum kommt auch zu ihren Shows, weil sie eine unschlagbare Sabbeltasche ist. Die Hälfte des Auftritts sind extrem komische Betrachtungen des sie umgebenden Alltags, wobei sie selbst besonders im Fokus steht – immer selbstironisch und äußerst schlagfertig, wie man es auch aus ihrer erfolgreichen Fernsehshow „Inas Nacht“ kennt. In der Barclays Arena fehlen ihr natürlich die prominenten Gäste, also wird jemand aus dem Publikum gesucht, mit dem sie rumschäkern kann. Dieses Mal trifft es einen Mann namens Elias, der sich allerdings gut aus der Affäre zieht und mit ihr sogar übers Parkett schwooft.
Ein großes Thema ist für Ina Müller – und nicht nur für sie – ihr Alter. „55“ ist der Titel ihres vor zwei Jahres erschienenen Albums, sie ist inzwischen 57 und hadert mit ihrer Figur und ihrer Vergesslichkeit, komisch auf den Punkt gebracht im Song „Eichhörnchen“. „Heute ist wieder Eichhörnchentag und ich hab vergessen, wo ich alles verbuddelt hab“, heißt es darin.
So tüdelig Ina Müller sich in diesem Song gibt, so hochkonzentriert und dabei so leicht wirkt ihre Performance. Sie holt mit ihren Döntjes weit aus, doch sie besitzt dieses angeborene präzise Timing für die Pointe und den Gag, eine Fähigkeit, die sie schon vor 25 Jahren ausgezeichnet hat, als sie noch im Duo Queen Bee unterwegs war. Entsprechend ausgelassen ist die Stimmung im Auditorium.
Ina Müller ist treffsicher unter die Gürtellinie
Ina Müller ist auf der Bühne im positiven Sinne unverschämt. Sie macht sich lustig über das modische Haarentfernen und beschreibt, wie es ihr beim Waxing ihrer Vagina ergangen ist. Diese Gags unter der Gürtellinie sind hochkomisch, im Saal wird angesichts der immer drastischer werdenden Erzählung laut aufgejucht.
Auch den Wutbürger gibt Müller überzeugend: Laubbläser sind für sie die Schwanzverlängerung des kleinen Mannes, statt künstlicher Intelligenz macht sie um sich herum zunehmend natürliche Dummheit aus und nennt als Beispiel einen Autofahrer, der im Kreisverkehr den Rückwärtsgang einlegt, weil er die Ausfahrt verpasst hat.
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Ein wichtiger Teil ihrer Show beschäftigt sich mit ihrer Familie und dem Dorf, aus dem sie kommt. Ihren Schwestern hat sie auf dem Album „48“ ein Lied gewidmet, diesmal beschreibt sie die Hochzeit ihrer ältesten Schwester, die mit 65 geheiratet hat, und spart auch da nicht mit Spott. Auch an die dörflichen Großraumdiscos mit den ekligen Toiletten erinnert sie sich. Jeden Sonnabend war das Roes’ Gasthof im Dörfchen Lintig Treffpunkt für 1400 junge Leute und Teenager Ina mittenmang. „Das war wie analoges Tinder“, sagt sie. „One Night Stands gab’s damals noch nicht, das hieß Stichprobe.“ Und gibt den Rat: „Betrunken flirten ist wie hungrig einkaufen gehen. Da nimmt man Sachen mit, die braucht kein Mensch.“
Ina Müller: Herzenswärme nach Tourpause
Wer Ina Müller gut kennt, weiß, dass viele Songs und Döntjes sich genauso oder ähnlich zugetragen haben und von ihr nur zugespitzt werden. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und ist eine authentische Künstlerin, wie es sie auf deutschen Bühnen nur ganz selten gibt. Dabei ist sie bodenständig geblieben und wird von Jahr zu Jahr lebensklüger.
Nach zweieinhalb Stunden beendet sie ihren großartigen Auftritt mit dem Eröffnungssong „Ich halt die Luft an“. Die Schrecken der Realität sind noch nicht vorbei, aber Ina Müller ist nach fünf Jahren Tourpause wieder da. Und schenkt ihrem Publikum einen Abend voller Komik und Herzenswärme.