Hamburg. Balthasar-Neumann-Ensemble spielte ein Programm, dessen Düsternis eine erschütternde Verbindung mit der Atmosphäre des Spielorts einging.
Der Raum scheint sich nach hinten hin im Unendlichen zu verlieren, so tief ist er. Kahle Betonwände, winzige Fenster, durch die Ritzen der Dachziegel zieht der Wind. Unmöglich, den Ort ohne die innere Bedrückung wahrzunehmen, die das Wissen um seine Geschichte auslöst: Dort befand sich während der nationalsozialistischen Herrschaft ein Klinkerwerk, in dem Häftlinge Zwangsarbeit leisten mussten. Das Gebäude steht auf dem Gelände des früheren Konzentrationslagers Neuengamme.
An diesem Abend ist eine Bühne darin aufgebaut, dahinter leuchtet die Stirnwand blau: Im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals gelangt dort ein Programm zur Aufführung, dessen Düsternis eine ebenso schlüssige wie erschütternde Verbindung mit der Atmosphäre des Spielorts eingeht. Thomas Hengelbrock dirigiert die „Ekklesiastische Aktion“ von Bernd Alois Zimmermann aus dem Jahre 1970, geschrieben als letztes Werk kurz bevor sich der Komponist das Leben nahm.
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„Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“ ist sie überschrieben. Der Schauspieler Wanja Mues rezitiert Auszüge aus dem alttestamentarischen Buch „Der Prediger Salomo“ und sein Kollege Ulrich Noethen aus dem „Großinquisitor“ von Dostojewski, vom Orchester in brachial hervorgestoßenen Einzeltönen flankiert, unterbrochen, gejagt. Beide gehen in Stimme und Ausdruck an Grenzen. Ganz und gar entäußert sich der Bariton und Extremdarsteller Georg Nigl in seiner schier opernhaften, von sattem Orchestersound begleiteten Partie.
Der „Ekklesiastische Aktion“ ist der Eingangschor zu Bachs „Matthäuspassion“ vorausgegangen, in Hengelbrockscher Manier federnd und straff musiziert. Seinen Puls übernimmt der Dreiertakt von Herzschlaggeräuschen, die vorweg erst leise und dann lauter werdend den Raum erfüllen. Keine neue Idee, aber immer noch ein berührender Effekt.
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Balthasar-Neumann-Chor singt mit ergreifender Intensität
Und an das Ende des Zimmermann-Werks schließt sich ohne Unterbrechung das Deutsche Requiem von Johannes Brahms an. Ein sinnfälliger Übergang nicht deswegen, weil dem Komponisten die diesjährige Retrospektive des Festivals gewidmet ist. Sondern weil sein Requiem, übrigens ein Jugendwerk, gewissermaßen die Gegenposition zu dem tiefschwarzen Zimmermann einnimmt. Bei Brahms warten Trost und Wiedersehen auf die gläubige, vertrauende Seele.
Hengelbrock hat mit dem Werk schon oft das ganze Auditorium himmelwärts gehoben vor Beseeltheit. An diesem Abend aber bleibt Brahms am Boden. Allzu eisern das Metrum, allzu viele Intonationstrübungen in den tiefen Piani. Der Balthasar-Neumann-Chor aber singt zum Niederknien: klangschön, textverständlich und mit ergreifender Intensität.