Hamburg. Der Gambist und Le Concert des Nations sorgen für einen erstaunlichen Konzertabend. Dann geschieht eines dieser Savall-Wunder.
Manche, von denen man eine politische Positionierung erwartet, halten sich damit so lange zurück, bis ihr Schweigen zu einem Dröhnen angewachsen ist. Ganz anders der Gambist, Dirigent und Originalklangspezialist Jordi Savall. Der muss sich nicht bekennen, denn bereits seit 1989 heißt das Orchester, mit dem er sich inzwischen vom Barock bis zur Romantik vorgearbeitet hat, Le Concert des Nations und vereint Musiker aus 20 Nationen. Als Savall das in der Elbphilharmonie erzählt, brandet spontan Applaus auf. Savalls völkerverbindende Idee ist nicht wohlfeil, sie entspringt einer grundsätzlichen Haltung.
Ein „Gebet für den Frieden“ nennt der katalanische Grandseigneur den langsamen Satz aus der Italienischen Sinfonie von Mendelssohn, den er und die Seinen als Zugabe musizieren. Vorausgegangen ist ein Schubert-Abend der besonderen Art. Schubert mit historischen Instrumenten, das klingt immer noch erstaunlich anders.
Elbphilharmonie: Jordi Savall sorgt für ein Wunder
Hörbar ist nicht nur deren haptisch-rauer Klang, sondern gerade in der ersten Konzerthälfte auch der Kampf mit der Materie – no risk, no fun, könnte man auch sagen, wobei das Risiko natürlich kein Selbstzweck ist. Naturmaterialien wie Darmsaiten und Paukenfelle reagieren launisch auf Zug, auf Temperatur- und Feuchtigkeitswechsel. Die Künstler stimmen sehr ausführlich, trotzdem gerät die pianissimo aus der Tiefe aufsteigende Basslinie zum Beginn der „Unvollendeten“ nicht blitzsauber.
Womöglich fremdeln sie anfangs noch etwas mit dem Großen Saal. Aber dann. Dann geschieht eines dieser Savall-Wunder. Das berühmte Seitenthema der Celli fängt der Dirigent um ein Weniges ab, bevor sie die Phrase wiederholen. Die kleinen Intonationstrübungen im Holzbläsersatz sind vergessen, wenn das Fagott mit körperlich rauem Timbre seine Gegenlinie zu den Fortissimo-Ausbrüchen des Orchestertuttis singt, wenn die Hörner sanft schmettern. Ja, mit diesen Instrumenten geht das.
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Den Dreierrhythmus des langsamen Satzes nimmt Savall sehr flüssig, als wollte er jede Gefühligkeit vermeiden. Freilich fehlen den Bass-Tupfern dadurch die kleinen Widerhaken, die den Hörer daran erinnern, dass unter der freundlichen Melodie bereits etwas anderes, Tödliches droht.
Ein wenig mehr Sentimentalität würde nicht schaden
Ganz andere Abmessungen als die „Unvollendete“ hat die sogenannte „Große“ C-Dur-Sinfonie, die nach der Pause folgt. Savall gibt ihr mit leichter Hand den Rahmen, die innere Verbindung zwischen den Ecksätzen. Der erste Satz fließt gelöst und mätzchenfrei dahin. Plakatives hat dieser Musiker nicht nötig. Er nutzt die kleinen Momente, um die Schubertsche Schwärze aufzudecken, etwa eine winzige Figur der Bässe, bevor das tänzerische Hauptthema wieder einsetzt. Ein wahrer Krimi eignet sich zu Beginn des Andante con moto in den Staccati der Streicher. Bei den Kantilenen macht Savall keine Zugeständnisse. Es geht ihm nicht um Schmelz. Sondern ums Ganze.
Auch im rasanten letzten Satz gilt sein Augenmerk der Hauptstimme, mag die Begleitung noch so virtuos sein. Die Bläser swingen, das haarfeine Blattwerk der Streicher groovt dazu. Allerdings geht Savall auch hier arg straff mit dem Metrum um. Und dennoch: Ein wenig mehr Sentimentalität würde nicht schaden. Der Musik nicht – und Savalls künstlerisch-politisch-menschlicher Statur auch nicht.