Hamburg. Der Wahlrusse wird mit seinem Utopia-Ensemble in der Laeiszhalle gefeiert. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine ist kein Thema.

Teodor Currentzis und Personenkult, das ist nicht voneinander zu trennen. War es noch nie. Was egalitär gesonnene Zeitgenossen schon immer abstoßen konnte, ganz unabhängig von Currentzis‘ musikalischen Qualitäten. An diesem Abend in der Laeiszhalle aber erreicht die Begeisterung für den Wahlrussen mit den griechischen Wurzeln eine geradezu hymnische Qualität.

Und die befremdet angesichts der Debatte, die gerade um sein Verhältnis zu den russischen Machthabern läuft. Schließlich hat sich Currentzis, dessen Ensemble musicAeterna aus regimenahen russischen Quellen finanziert wird, seit Kriegsbeginn nicht ausdrücklich vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine distanziert.

Teodor Currentzis in der Laeiszhalle: Bravorufe zu Beginn

Am Dienstag war bekanntgeworden, dass die Kölner Philharmonie Currentzis und das SWR Symphonieorchester, dessen Chefdirigent er ist, kurzfristig ausgeladen hatte. Die Elbphilharmonie hat unterdessen daran festgehalten, dass er mit seinem neu gegründeten Orchester Utopia auf der Jungferntournee in die Laeiszhalle kam.

Keine Ansprache zur Weltlage, keine Solidaritätsbekundung, stattdessen Bravorufe, schon als der Maestro die Bühne betritt. Es ist eine Party, und wenn Currentzis etwas daran stören dürfte, dann am ehesten, dass man die ersten, dunkel drohenden Töne von Strawinskys „Feuervogel“ im nur langsam abebbenden Murmeln und Füßescharren nicht richtig hören kann.

Teodor Currentzis – Konzertabend schlägt alle in seinen Bann

Was dann folgt, ist allerdings ein Konzert der sehr besonderen Art. Die Liste der Mitwirkenden legt nahe, dass Currentzis für Utopia ähnlich dem Muster des großen Dirigenten Claudio Abbado führende Musiker aus aller Herren Länder versammelt hat; viele von ihnen spielen in internationalen Orchestern.

Und so wie man bei den Gastspielen des 2014 viel zu früh verstorbenen Abbado mit seinem Lucerne Festival Orchestra aus dem Staunen nicht herauskam über den klanglichen Reichtum und die fühlbare Einigkeit eines Klangkörpers, der sich doch nur projektweise traf, so schlägt es an diesem Herbstabend wohl alle Anwesenden in den Bann, wie geheimnisvoll, klar strukturiert und farbig Currentzis und die Seinen die Geschichte vom bösen Zauberer Kaschtschej und dem Feuervogel entfalten.

Teodor Currentzis – ab Ausbruch des Höllentanzes kein Halten mehr

Die Orchestersolisten haben Platz und Zeit für innige, atmende Zwiesprache, das Tutti hält schier endlos seine spannungsvollen Pianissimi. Die drei „Pantomimen“ hätte man sich noch kontrastreicher vorstellen können, aber ab dem markerschütternden Ausbruch des Höllentanzes gibt es kein Halten mehr. Und als nach der Pause auch die letzten Zuhörer sich auf ihre Plätze bequemt haben – Currentzis steht schon auf der Bühne und wartet mit amüsiertem Gesichtsausdruck auf Ruhe –, räumen sie ab mit Maurice Ravels Konzertsuite „Daphnis et Chloé“ zu dem gleichnamigen Ballett.

Klar, dass der Soloflötist für seinen Riesenpart gefeiert wird. Es folgt Ravels „La Valse“, ein Tanz auf der Rasierklinge zwischen Walzer-Schmäh samt lustvollem Verweilen vor der schweren Zählzeit „Eins“ und dem immer lauter werdenden Schlachtengetümmel in Schlagwerk und Blech. Das Werk ist 1919 entstanden, die Schrecknisse des Ersten Weltkriegs waren noch gegenwärtig. War da was?

Teodor Currentzis in der Laeiszhalle – als Zugabe Ravels „Boléro“

In der Laeiszhalle nichts Neues. Jubel, nochmals Jubel und als Zugabe – wie sollte es auch anders sein – Ravels „Boléro“. Vor dem Abtreten holen sich viele der Damen auf dem Dirigentenpodium eine Umarmung ab. Das passt nicht so ganz zum üblichen Ablauf eines Konzertabends, aber hey, dies ist Currentzis.

Wie mögen all die westlichen Musiker zu den politischen Fragen stehen, die eine solche Figur unausgesprochen, aber unweigerlich mit auf die Bühne bringt? Kein Wort davon an diesem Abend. Der Krieg vor unserer Haustür aber geht weiter.

Currentzis im Netz: teodor-currentzis.com