Hamburg. Das Trickster Orchester mit faszinierend eigenständiger Musik im Großen Saal der Elbphilharmonie. Das Publikum überraschte.
Gottseidank gibt es für Konzertbesuche keine Tapferkeitsmedaille, für Mut sind immer noch die programmplanenden Veranstalter in die Pflicht zu nehmen. Doch gäbe es in dieser Musikstadt eine Offenheitsmedaille, müsste sie unbedingt an jene Kundschaft der Theatergemeinde Hamburg gehen, die zum Trickster Orchestra in den Großen Saal der Elbphilharmonie kam. Viele Jüngere; sehr viele, die man, völlig wertfrei gemeint, eher in einer Repertoire-Vorstellung im Ernst Deutsch Theater verorten würde.
Sie sahen auf der Bühne etliche spezielle Instrumente bereitgestellt – speziell aber nur, wenn man den eigenen, traditionell geprägten Tellerrand als Maß aller Dinge nimmt. Ein diverses Orchester, Instrumente und Einflüsse aus allen Himmelsrichtungen, mit transkulturellem Ansatz, der vermeintliche Gegensätze nicht nur anzieht, sondern ausdrücklich umarmt.
Elbphilharmonie: „Wir dürfen spielen, was wir wollen“
Die japanische Zither-Verwandte Koto, die chinesische Mundorgel Sheng, die arabische Flöte Ney, eine straßenlaternengroße Kontrabassflöte, dazu anders klassische, westliche Streichinstrumente, ein Flügel und Percussion. Eine auch singende Dirigentin, die die Klänge vor sich mit ihrem Körper vorformte, statt sie zielgerichtet zu organisieren, familiäre Wurzeln im Iran, in Braunschweig geboren. Musik, die sich im wilden Freiraum zwischen Avantgarde, Jazz, Folklore, Weltmusik und Wasauchimmer bewegt. „Wir dürfen spielen, was wir wollen“, sagte Cymin Samawatie stolz strahlend und leicht überwältigt, „das ist der Wahnsinn“.
Nicht alle dürften gewusst oder auch nur vage geahnt haben, was dieser Abend an Überraschungen bringen und wie das wohl klingen würde. Aber: Sie blieben und ergriffen nicht, wie es in vorelphilharmonischen Zeiten garantiert in größeren Gruppen passiert wäre, verstört die Flucht. Sondern ließen sich entspannt darauf ein, neugierig, wohlwollend. Und am Ende begeistert, diskutierend und um eine Erfahrung bereichert, die selbst im weitgefächerten Stil-Sortiment der Elbphilharmonie zu großen Seltenheitswert hat.
Elbphilharmonie: Die Trickster können auch anders
Zur Begrüßung passierte Musik, die sich mühelos in eine Spezialisten-Matinee bei den Donaueschinger Musiktagen eingefügt hätte, um dort ein erstes und letztes Mal vor etwa 17 grübelnden Experten in Schönheit zu verklingen. Viel Rhythmus, schwebende Klangflächen, eigen und undefinierbar interessant. Keine dieser flach dümpelnden Crossover-Mixturen, sondern eine mutige Verschmelzung, ein Amalgam, das faszinierend anders schimmerte.
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Danach spielten die Geigerin Mayumi Kanagawa und der Cellist Bryan Cheng zwei reizend melodische Stücke der frühmodernen Britin Rebecca Clarke – etwa eine Generation vor Britten – aus einem der höheren Ränge; kleiner Trick, große Wirkung. Damit war klar: Die Trickster könnten auch anders. Eingängiger und harmloser. Aber sie wollten nicht. Und es war auch nicht notwendig, ihren Applaus verdienten sie sich genau dafür.
CD: Cymin Samawatie / Ketan Bhatti „Trickster Orchestra“ (ECM, 15 Euro)