Hamburg. Der Liedermacher würdigte beim Harbour Front Literaturfestival Heinrich Heine – und trug ein ganz altes Gedicht vor.

Es war ein abermaliges Abarbeiten am Kommunismus, eine musikalische, poetische Abrechnung. Und diesmal auch im Zwiegespräch mit Heinrich Heine, dem Artverwandten, dem „Cousin“, wie Wolf Biermann den deutschen Klassiker zu nennen pflegt, der lieber Franzose oder zumindest kein Deutscher gewesen wäre.

Wolf Biermann in der Elbphilharmonie – mit Gesang und Gewüte

Biermann war auf Einladung des Harbour Front Literaturfestivals in der Elbphilharmonie, und sein Vortrag zum Thema Weltanschauung und Gesellschaftsordnung mündete nach unermüdlichem, tief empfundenem Lärmen und Krakeelen, nach Gesang und Gewüte in dem sehr wahren Satz: „Die schlechteste Demokratie ist immer noch besser als die beste Diktatur.“

Dafür gab es Applaus. Noch mehr Applaus als eh schon für den Erfinder des Wortes „Liedermacher“, der gar nicht anders konnte, als von den Kommunisten zu erzählen. Sein Heine-Programm ist ein persönliches, denn Heine hat ihn begleitet durch die Jahre, ist – vielleicht nicht ganz so wie der Kommunismus – ein Lebensthema geworden. Beide schrieben Texte unter dem Titel „Deutschland. Ein Wintermärchen“, und so war klar, was dieser Abend auch werden würde: eine Auseinandersetzung mit dem hassgeliebten Vaterland.

Wolf Biermann: Eine urwüchsige Doppelherzkraft auf der Bühne

Harbour Front Sounds heißt die Reihe des Harbour Front Literaturfestivals, die Musik und Literatur zusammenbringt. Im Falle Biermanns in einer Person: Der Mann ist Dichter und Musiker, eine urwüchsige Doppelherzkraft auf der Bühne. Und das auch noch mit 85 Jahren, wie Biermann nun im Großen Saal des Konzerthauses bewies.

Dass viele Plätze frei blieben, war angesichts der Biermannschen Darbietung, das vorweg, übrigens durchaus bedauerlich. Biermann kam im nur leicht gebremsten Sauseschritt auf die Bühne und spielte sofort Gitarre (was für ein guter Gitarrist er ist, darf man ruhig mal erwähnen). Sang „Leise zieht durch mein Gemüt“ von Heine („Der ist unsterblich!“) und hob dann gleich an mit dem Erzählen.

Elbphilharmonie: Wolf Biermann im Dialog mit Heinrich Heine

Er, Biermann, rufe Heine in Montmartre „ab und an mit Facetime“ an und habe da auch das Programm für die Elbphilharmonie abgesprochen. Heine zu Biermann, angeblich: „Sie machen auch ein bisschen auf Schubert mit den Vertonungen meiner Verse.“

Das mit dem Dialog zog Biermann durch, weil heiter sollte es ja sein. Und heiter hätte es auch Heine gewollt, behauptete Biermann, also klampfte der Barde und Bänkelsänger dann zum Beispiel Heines Gedicht „Ein Weib“. „Machen Sie kein Spottgedicht“, habe Heine ihm grundsätzlich noch mit auf den Weg gegeben.

Biermann-Abend – eine Hommage an Heinrich Heine

Also dann: Biermanns rezitiertem Loblied auf das Konzerthaus („Die Elphi ist uns so teuer geworden wie wert“) konnte man diesbezüglich nichts vorwerfen. Es ging seinem Vortrag aus dem berühmtesten Heine-Text voraus. „Deutschland, ein Wintermärchen“, unkaputtbar, Klassikerstatus und so weiter; Biermanns Abend war natürlich eine Hommage.

Und eine notgedrungen in die Schreckenszeit hinabsteigende, persönliche Rückschau: „Als mein Vater in Auschwitz brannte, war keine Sterbeglocke zur Hand. Der Tod war schon selbst tot“, sagte Biermann und meinte die Auschwitzermordung seines jüdischen Vaters.

Wolf Biermann sang über das, was er erlebt hat

Biermann, dessen Autobiografie vor fünf Jahren erschien, erzählte von den Repressalien in den DDR-Jahren seiner Vita, der Ausbürgerung, seiner Rückkehr nach Hamburg. Dann, wie konnte es anders sein, deklamierte Biermann, die Sätze knallten in der akustisch weitschweifenden Elbphilharmonie besonders toll, seine Version von „Deutschland, ein Wintermärchen“, wegen der er 1965 in der DDR-Diktatur konsequent verboten wurde – er sprach damals ja in kraftvollstem Ton die Mauertoten an.

Am Montagabend lachten die Menschen in der Elbphilharmonie, und sie bewunderten die frühe Biermannsche Courage und die späte unveränderte Inbrunst: „Na und? Die ganze Welt hat sich/In Ost und West gespalten/Doch Deutschland hat – wie immer auch – Die Position gehalten/Die Position als Arsch der Welt/Sehr fett und sehr gewichtig/Die Haare in der Kerbe sind/Aus Stacheldraht, versteht sich/Dass selbst das Loch – ich mein’ Berlin – in sich gespalten ist/Da haben wir die Biologie/Beschämt durch Menschenwitz“.

Biermann in der Elbphilharminie – Zugabe und Ehrenrunde

Seine Stimme war kräftig wie eh und je. Einmal schrie er Heines Verse in den Saal, eine erstaunliche Energieleistung unter vielen: „Ich bin das Schwert/Ich bin die Flamme“. Was für ein Mix aus Pathos, Erhabenheit, Lächerlichkeit sei das gewesen, sagte Biermann, Heine habe seine Pariser Freunde auf den Revolutionsbarrikaden besungen und das Blut, das sie vergossen: „Aber er selbst war nicht dabei und auf Helgoland“. Bei ihm sei das einfacher gewesen, „ich habe in der Regel das gesungen, was ich erlebt habe“.

So sagte es der gewaltige Wortschmied und Deutschtexter, der wie Heine ins Exil ging, nicht von Deutschland nach Frankreich, sondern von Deutschland nach Deutschland, ehe er nach mehr als zwei Stunden, nach Zugabe und Ehrenrunde von der Bühne lief. Ein Alter, der alt und jung zugleich war.