Hamburg. Stefan Pucher gibt im Hinterzimmer des Schauspielhauses ein knalliges Kammerspiel über die verkommenen Hinterzimmer der Macht.

Da wird einem also haargenau auseinanderklamüsert, wie es ausgeht – schlecht nämlich –, und man läuft trotzdem bereitwillig hinein. Während das Publikum sich vor dem Malersaal des Deutschen Schauspielhauses noch auf Foyer-Wein und Saisonstart-Plausch konzentriert, erklimmt Yorck Dippe für einen Prolog im schwarzen Dichter-Gewande bereits die Malersaal-Treppen.

Und nimmt, von oben herab und in hohem Ton deklamierend, das Ende vorweg, die blutigen Bürgerkriege der „edlen und illustren Römer“. Die Botschaft, zumal in diesen Tagen, ist eher desillusionierend: Die Geschichte zu kennen, heißt noch lange nicht, auch aus ihr zu lernen.

Theaterkritik: Pucher holt wieder einen Shakespeare

Der Regisseur Stefan Pucher, der am Schauspielhaus (in der legendären letzten Spielzeit des damaligen Intendanten Tom Stromberg) einst einen berauschenden „Othello“ mit Alexander Scheer auf (und vor!) die Bühne gebracht hat, holt nach vielen Jahren, in denen er unter anderem am Thalia Theater inszenierte, wieder einen Shakespeare an die Kirchenallee: „Caesar“, in einer Koproduktion mit dem so abgelegenen wie ambitionierten Lausitz Festival, wo das Stück vor wenigen Tagen bereits Premiere feierte. Nun ist es, als Reenactment einer politischen Verschwörung mit abschließendem Tyrannenmord, im Malersaal angekommen.

Und auch im Hinterzimmer der Macht gilt: Sichtbarer könnte das heimliche Komplott kaum sein. „SI VIS PACEM PARA BELLUM“, steht in großen Lettern quer über die Rückfront, „wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg“. Strahlend weiß glänzt davor die überlebensgroße Marmor-Statue, die Bühnenbildnerin Nina Peller mitten im von Säulen eingefassten Raum platziert. Blankpoliert und unverhohlen zeigt das Standbild im Zentrum den ganzen Kriminalfall: Das (hier barbusige) Opfer, die Täter, die Tatwerkzeuge. Der Dolch steckt längst im Fleisch.

Pucher interessiert sich auch für die Motive

Pucher aber erzählt mit Shakespeare und einem fantastisch aufspielenden Ensemble nicht nur den Hergang, er interessiert sich für die Motive. Und kommt mit einer kammerspielartigen Inszenierung, die sich optisch zunächst als Mischung aus Deichkind-Performance und übereifrig ausstaffierter Schulaulaaufführung tarnt, der politischen Gegenwart doch erschreckend nah. Der gnadenlose Populismus der Macht, die verblüffend simple Manipulation des (in seiner Gesamtheit womöglich eben auch verblüffend simplen) Volkes, die permanente Bedrohung der Freiheit und der Demokratie, die Ernüchterung. Es ist alles da.

Mit bereits blutrot gefärbtem Gesicht, einer Art Samurai-Zopf und eingepackt in lagenweise Fundus-Goldstoff besteigt Sachiko Hara als geschlechtlich indifferenter Julius Caesar die Bühne auf der Bühne. Mit weit aufgerissenen, rollenden Augen spricht und schreit sie die ersten Sätze, begleitet durch eingespielten Jubel vom Band und ihrem unbeeindruckt dolmetschenden Getreuen Antonius (Bettina Stucky). Keine große Psychologie an dieser Stelle, dieser knallige, weinerliche, fratzenhafte Caesar bleibt vor allem ein Symbol.

Verschwörer bereiten sich auf ihre Tat vor

Viel Theater auf dem Theater also. Ausladende Gesten und Gänge, absichtliches Pathos, großzügiger Einsatz der Nebelmaschine. Und ein ganzer Haufen zusammengewürfelter Trash-Kostüme (Annabelle Witt), in denen auch die Verschwörer sich auf ihre Tat vorbereiten. Die erneut berückend souveräne Sandra Gerling (wie die anderen Frauen völlig selbstverständlich in einer Hosenrolle) gibt Cassius als schlangenhaft hinterhältiges Biest. Josef Ostendorf lässt Brutus, den „Empfindungen streitender Natur“ quälen, unter Unmengen von Stoff und Schmuck und Glitzerschminke zart funkeln („Das Auge sieht sich nicht als nur im Widerschein durch andre Dinge“).

Und Samuel Weiss in bewusst lächerlichem Aufzug ist der speichelleckende Mitläufer dieser Toga-Gang, der sich aus dem Publikum heraus später mühelos dem nächsten dubiosen Machthaber zuwendet.Unter dieser ganzen vermeintlichen Albernheit, auch wenn sie bisweilen etwas routiniert daher kommt, brodelt es.

Mord wird als „Befreiung“ verkauft

Der gemeinschaftlich begangene Mord wird (bei diesen Vokabeln horcht man dieser Tage ja besonders auf) als „Freiheit“ und „Befreiung“ verkauft, die Verschwörer unterschätzen, dass das gemeine Volk es vor allem gern bequem hat. Antonius nutzt seine Chance, auf Caesars Beerdigung zu sprechen. Wie eine wuchtige Rap-Queen im ordinären Hermès-Hoodie nimmt Bettina Stucky sich dafür die Bühne. Und Pucher bindet den fatalistischen Kommentar zu fehlender Demokratiefähigkeit und dem kranken Kreislauf aus Politikverdrossenheit und Machtmissbrauch mit einem Nachklapp ab, der noch deutlicher ins Hier und Jetzt verweist.

Hatte etwa jemand den Kerl unterschätzt, den Samuel Weiss da gegeben hat? So wie damals Donald Trump, die Witzfigur, die doch ernsthaft niemand wählen würde, wie abwegig war das denn bitte? Nun, diese Figur hat kein Verlangen mehr nach „organisch Geschaffenem“, die freut sich über den totalen Bankrott.

Theaterkritik: Er verachtet die Schwäche Europas

Ein gekränkter Eiferer ohne Ziel und Plan, außer der Bekräftigung der eigenen Wut. Der die Schwäche Europas verachtet – „Europa ist es leid, sein eigener Vorort zu sein“ – und eigene Großmachtfantasien nicht länger versteckt: „Ich bin Manns genug, euch den Weg zu weisen. Und wie ich ihn euch weisen werde.“

Gruseln lässt am Ende dieses Abends weniger die zuckende Caesar-Leiche. Angst haben sollte man immer vor dem Typen mit dem fragilsten Ego.

„Caesar“, Deutsches Schauspielhaus (Malersaal), wieder am 6./21./22. und 28. September, jew. 19.30 Uhr, Karten unter T. 248713 und unter www.schauspielhaus.de