Hamburg. Vor allem Katharina Abt überzeugt zum Saisonauftakt in Henrik Ibsens „Gespenster“. Sie steht als Witwe Helene Alving im Zentrum.
Freiwillige vor! Die Saisoneröffnung im Ernst Deutsch Theater beginnt mit einer Familienaufstellung. Der Therapeut sucht Zuschauer, die einen Familienkonflikt lösen wollen und findet Hanne Asmus und Oskar. Hanne macht mit, weil sie einen nahen Menschen verloren hat, Oskar, weil er Bock habe, mal auf einer Bühne zu stehen.
Als erste Aufgabe soll das Paar eine Pietà zeigen, also die trauernde Mutter, die den Leichnam ihres Sohnes in den Armen hält. Szenenwechsel. Der Gaze-Vorhang geht auf und zeigt ein geräumiges Wohnzimmer mit breiter Fensterfront und Bücherregal (Bühne: Petra Winterer). Es regnet. Henrik Ibsens Familiendrama „Gespenster“ beginnt, die Familienaufstellung war nur ein Vorspiel von Regisseur Christoph Tomanek, die Akteure Schauspieler.
Theaterkritik: Witwe Helene Alving steht im Zentrum
Im Zentrum von Ibsens Stück, 1882 in Chicago uraufgeführt, steht die Witwe Helene Alving. Katharina Abt spielt sie in der ersten Szene als ein mondäne, etwas exaltierte Frau, die von einer Shopping-Tour nach Hause kommt, eine Zigarette pafft, sich erst einmal aufs Sofa fallen lässt. Doch die lässige Attitüde ist aufgesetzt. Helene Alving trägt eine schwere Last.
Sie ist zwar eine erfolgreiche Geschäftsfrau, doch als Ehefrau und Mutter hat sie versagt, als Liebende ist sie zurückgewiesen worden. Pastor Manders (Christian Nickel), mit dem sie ein Asylantenheim eröffnen will, begrüßt sie noch mit erotischer Koketterie, doch als die Sprache auf die Vergangenheit kommt, bricht ihr Kartenhaus zusammen – und der Zuschauer erfährt ihre bittere Lebensgeschichte.
Sohn Osvald muss ins Internat gehen
Ihr verstorbener Mann war ein übler Trinker und Müßiggänger; sie selbst hat den Sohn Osvald mit sieben Jahren ins Internat gegeben. Nach einem Jahr Ehe verlässt Helene ihren Mann zum ersten Mal und wirft sich in ihrer Verzweiflung Manders an den Hals. Doch dessen Moral lässt keine Liaison mit der verheiraten Frau zu. „Eine Frau ist nicht zum Richter über ihren Mann bestimmt“, kanzelt er sie ab. Christian Nickel spielt den Pastor als strikten Moralapostel, doch am Ende des Dramas flieht er feige vor der Verantwortung.
Den Verfall der Familie zeigt Ibsen vor allem an Osvald (Janek Maudrich). Er ist krank nach Hause zurückgekehrt, „wurmstichig“, wie ein Arzt ihm gesagt hat, ein Synonym für Syphilis. Er möchte das Hausmädchen Regine (Helen Barke) zu seiner Frau machen, doch sie ist seine Halbschwester, was nur Helene und Manders wissen. Je länger der dreistündige Abend dauert, desto mehr verfällt das Haus der Alvings auch äußerlich.
Osvald bittet Mutter um Sterbehilfe
Im dritten Akt wirkt die Fensterfront wie verkokelt, nur noch ein roter Sessel steht im Wohnzimmer. In einem Anfall von Wut und Wahnsinn suhlt sich Osvald in Müll und Dreck und bittet seine Mutter um Sterbehilfe. Am Ende nimmt er sich mit Morphium das Leben; die Mutter hält ihn im Arm wie Maria ihren Sohn Jesus. Christoph Tomanek hält sich weitgehend an Ibsens Text. Eine Familienaufstellung inszeniert er nicht. Die darin enthaltenen Konflikte mit dem Verschweigen der Wahrheit, den Lügen, der Unterordnung unter gängige Moralprinzipien sind spannend und bedürfen keiner Aktualisierung.
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Ein paar Änderungen hat Tomanek allerdings doch vorgenommen: Das geplante Kinderheim ist bei ihm ein Asylantenheim, was es zu Ibsens Zeit noch nicht gegeben hat; die im Stück nur angedeutete Liebesszene zwischen Helene und Manders inszeniert er als obsessives Übereinander-Herfallen inklusive der Rezitation von Lorcas „Madrigal der Leidenschaft“.
Theaterkritik: Katharina Abt überzeugt vollständig
Bei diesem gelungenen Saisonauftakt lotet Katharina Abt ihre Figur tief aus und steht stark im Mittelpunkt, doch auch ihre vier Kollegen überzeugen. Sehr authentisch ist Christoph Finger als der etwas prollige Handwerker Engstrand, seine Tochter Regine spielt Helen Barke als beflissenes und egoistisches Dienstmädchen. Janek Maudrich dreht am Ende mit seiner Wahnsinnsattacke noch mal auf, und Christian Nickel ist die knochentrockene Verkörperung des bigotten Geistlichen. Viel verdienter Beifall für Regieteam und Schauspieler.
„Gespenster“ Ernst Deutsch Theater, läuft bis 1.10. Karten ab 22,- unter T. 2270 1420; www.ernst-deutsch-theater.de