Hamburg. Der Molekularbiologe Günter Theißen aus Jena analysiert in seinem neuen Buch wie Covid-19 in die Welt kam – und stellt brisante Fragen.
Als der renommierte Hamburger Physiker Roland Wiesendanger im Februar 2021 im Internet ein Dokument mit dem Titel „Studie zum Ursprung der Coronavirus-Pandemie“ hochlud, war der Teufel los: Seine These, wonach die Indizien „eindeutig für einen Laborunfall am Institut für Virologie Wuhan“ sprächen, lösten einen Shitstorm aus. Die berechtigte Kritik an manchen seiner Quellen sorgte dafür, dass die Debatte sich bald anderen Themen widmete. Dabei war seine Frage durchaus berechtigt.
Der Jenaer Molekularbiologe Günter Theißen wagt nun einen neuen Versuch: Er erkundet, warum um alles in der Welt die Hintergründe der Pandemie nicht ausgeleuchtet werden. Er erforscht, warum Wissenschaft und Medien sich so früh so festgelegt haben. Und er empört sich darüber, dass jeder Kritiker als Verschwörungstheoretiker abgestempelt wurde und die Theorie, das Virus käme aus dem Labor, nicht wie im Englischen „Laborhypothese“ heißt, sondern einfach abwertend „Laborthese“.
Buchkritik: „Das Virus“ gleicht einer Spurensuche
Er kritisiert das Lagerdenken: „Ein derartiges Freund-oder-Feind-Denken ist der Suche nach der Wahrheit nicht förderlich.“ Dem Lehrstuhlinhaber an der Friedrich-Schiller-Universität geht es um Wissenschaft: Auch alternative Hypothesen gilt es anzuerkennen, solange sie nicht durch Fakten widerlegt sind. Sein Buch, sehr gut geschrieben und gut verständlich, gleicht einer Spurensuche, getrieben von der Neugier eines Wissenschaftlers, befeuert von der eher trägen Diskursvermeidung in Medien und Wissenschaft.
Er beschreibt Wuhan als den globalen Schwerpunkt der Coronavirus-Forschung mit dem Wuhan Institute of Virology und dem Wuhan Center for Disease Control and Prevention. Theißen ist nicht der Einzige, der über diesen seltsamen Zufall stolpert, dass die Pandemie ausgerechnet in der Stadt ihren Ausgang nahm, die als Corona-Forschungshochburg gilt – er ist aber einer der wenigen, der daraus ein Buch gemacht hat.
Mehrere Laborunfälle in der Vergangenheit
Er beschreibt, dass Laborunfälle häufiger sind als viele denken – allein zwischen 1981 und 2016 wurden 220 Fälle erfasst. Auch das bekannte Marburg-Virus, das 1967 sieben Menschen in Hessen tötete, entsprang dem Labor eines Pharmaunternehmens, das an infizierten Affen forschte. Es gelang damals dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, das Virus erstmals zu identifizieren. Die Russische Grippe von 1977, die 500.000 bis 700.000 Todesopfer forderte, führen inzwischen ebenfalls viele Forscher auf einen Laborunfall zurück.
Forschung, die Menschen schützen soll, kann sich ins Gegenteil verkehren. Scharfe Kritik übt Theißen an der sogenannten Gain-of-Function-Forschung, bei der in Laboren quasi im Zeitraffer die Evolution der Viren extrem beschleunigt wird. So können natürliche Viren in Zellkulturen ansteckender werden – oder tödlicher. Deshalb setzten die USA die Finanzierung dieser Experimente 2014 aus, bis Trumps Regierung 2017 sie wieder zuließ.
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Der Genetikprofessor verhehlt nicht, dass die Mehrheit der Experten von einer Zoonose ausgeht, also von einem natürlichen Übergang vom Tier auf den Menschen. Er wundert sich nur, warum so schnell so einhellig jede Gegenthese verworfen, ja diskreditiert wurde. Liegt es an einer Wagenburgmentalität, an Konformismus und Karrieredenken, ja, einem Korpsgeist in der überschaubaren Corona-Forschungsszene?
Buchkritik: "Das Virus" beantwortet Fragen, lässt aber auch welche offen
Das Buch beschreibt, wie Theißen dann doch immer mehr Mitstreiter wie Wiesendanger findet, die, bevor sie Antworten geben, zunächst noch ein paar Fragen mit der gebotenen Skepsis der Wissenschaftler stellen wollen. Die Suche nach der Wahrheit wird so zu einer kritischen Bestandsaufnahme der Wissenschaftskultur und der medialen Aufarbeitung. Nicht alles muss man teilen. Am Ende weiß der Leser auch nicht, ob das Virus zweifelsfrei aus dem Labor kommt. Aber klüger wird er durch die Lektüre immer.