Hamburg. Physiker Roland Wiesendanger sagt, er sei von Uni Hamburg-Chef Dieter Lenzen „ausdrücklich motiviert“ worden.

Nach der massiven Kritik an der Universität Hamburg für ihre Pressemitteilung am vergangenen Donnerstag zu einer „Studie“ ihres Nanowissenschaftlers Roland Wiesendanger zum Ursprung des Coronavirus wollte UniPräsident Chef Dieter Lenzen auch am Montag auf Abendblatt-Anfrage nicht Stellung beziehen. Allerdings erklärte Physikprofessor Roland Wiesendanger, Autor der 105-seitigen Darstellung, Lenzen habe ihn bei der Veröffentlichung der Arbeit und deren Bekanntmachung über offizielle Kanäle der Hochschule „ausdrücklich motiviert“.

Wiesendanger, ein angesehener Experte für Rastertunnelmikroskopie, hatte für seine Arbeit wissenschaftliche Veröffentlichungen, Artikel aus Print- und Online-Medien sowie YouTube-Videos ausgewertet und über das Thema mit „internationalen Kolleginnen und Kollegen“ gesprochen.

Uni Hamburg teilte mit: "Indizien sprechen für Laborunfall"

Am Ende kam er zu „dem Ergebnis, dass sowohl die Zahl als auch die Qualität der Indizien für einen Laborunfall am virologischen Institut der Stadt Wuhan als Ursache der gegenwärtigen Pandemie sprechen“, wie die Universität Hamburg mitteilte. Experten der Weltgesundheitsorganisation hingegen konnten bisher nicht abschließend klären, wie Sars-CoV-2 auf den Menschen übergegangen ist; sie halten einen Laborunfall als Ursache allerdings für „extrem unwahrscheinlich“.

Eine Bewertung seiner Darstellung durch unabhängige Gutachter (Peer-Review), wie sie vor der Veröffentlichung in anerkannten Fachjournalen üblich ist, hatte Wiesendanger nicht vornehmen lassen, sondern seine Arbeit nur bei ResearchGate hochgeladen, einem Netzwerk für Wissenschaftler. Die Kritik, seine „Studie“ verdiene diesen Namen nicht, könne er nicht nachvollziehen, sagt er. Als Studie bezeichne man die Erforschung eines Untersuchungsgegenstandes. „Schauen Sie bitte bei Wikipedia nach, das können Sie gerne als Referenz nehmen.“

"Studie": Veröffentlichung richtet sich nicht an Fachpublikum

Dass die Universität – entgegen der üblichen akademischen Praxis – in einer Pressemitteilung über eine nicht begutachtete Untersuchung informierte, hält Wiesendanger für richtig. „Die Pressestelle hat auch die Relevanz einer Arbeit zu beurteilen.“ Er selber hält die Ergebnisse für hochrelevant, betont allerdings: „Dies ist ganz klar keine wissenschaftliche Fachpublikation, sondern sie richtet sich an die Bevölkerung.“ Wiesendanger: „Ich habe mir monatelang Gedanken darüber gemacht, wie die Form des Dokuments aussehen muss, damit ich Millionen Menschen weltweit erreiche.“

Er habe eine „unglaublich große Zahl von Interview-Anfragen“ aus dem Ausland sowie positive Rückmeldungen von Forschern und Privatpersonen aus aller Welt bekommen. „Das unterstreicht den Erfolg der universitären Pressestelle – und es zeigt, wie relevant dieses Thema ist, wie stark die Bevölkerung einen Bedarf sieht, Informationen über diesen Untersuchungsgegenstand zu bekommen.“ Wenn die Uni nicht offiziell via Pressemitteilung auf seine Arbeit hingewiesen hätte, wäre die Resonanz wohl erheblich schwächer ausgefallen, sagt er.

Wiesendangers „Studie“ rief starke Kritik hervor

Wiesendangers „Studie“ rief nicht nur in sozialen Medien und unter Abgeordneten der Bürgerschaft Kritik hervor, sondern schlug auch hohe Wellen an der Universität. So distanzierte sich das Dekanat der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften, der Wiesendanger angehört. Es handele sich „nicht um eine wissenschaftliche Studie mit qualitätsgesicherten Inhalten und Standards“. Wiesendanger sagte dazu, er finde diese Kritik „unmöglich“.

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Er habe darauf aufmerksam machen wollen, welche große Gefahren von der sogenannten Gain-of-Function-Forschung ausgehe. Dabei verändern Forscher im Labor Viren derart, dass die Erreger neue Funktionen bekommen. „Das ist ein hochgradig wichtiges Thema im Bereich der internationalen Sicherheitspolitik“, sagt Wiesendanger. Damit dürften sich nicht nur kleine Gruppen von Wissenschaftlern und Politikern beschäftigen. Vielmehr sehe er es angesichts der Pandemie als seine Pflicht, „die allgemeine Bevölkerung über diese Gefahr zu informieren“.

Dagegen hatte die Journalistikprofessorin Juliane Lischka von der Universität Hamburg erklärt, in ihrem Desinformations-Seminar werde Wiesendangers Darstellung „ein trauriges Fallbeispiel“ bilden.