Hamburg. Der glühende Werder-Fan würdigte Uwe Seeler und verzichtete auf HSV-Scherze. Beim umjubelten Konzert stellt er etwas unter Beweis.

Die Nachricht hatte schnell seine Runde gemacht: „Uwe Seeler ist tot.“ An der überdimensionalen Bronzeskulptur von Seelers Fuß haben sich gegen Abend vielen HSV-Fans versammelt und Kerzen und Blumen abgelegt. An ihnen vorbei strömen Tausende Musikfans in beschwingter Stimmung. Sie wollen zum Konzert von Jan Delay auf dem Gelände östlich des Volksparkstadions, das in diesem Jahr als Open-Air-Veranstaltungsort benutzt wird.

Jan Delay zollt Uwe Seeler in Hamburg Respekt

Jan Delay ist Werder-Bremen-Fan und auch überzeugter St. Paulianer, doch „Uns Uwe“ zollt er an diesem Tag Respekt. Keine Witze über den HSV, dafür eine Verbeugung vor einem legendären Spieler und Menschen, der wie nur wenige sonst Hamburg verkörperte. „Du warst der Allerderbste“, sagt Delay, was als höchstes Lob gemeint ist.

Auch während des zweistündigen Auftritts widmet er einige Songs dem Fußball-Idol, das vor sechs Jahren in einem Video von Delays Hip-Hop-Crew Beginner mitgewirkt hat. In „Ahnma“ rappte Delay: „Der Veteran von der Reeperbahn, hab Hamburg hinter mir, als wär ich Uwe Seeler, Mann“.

Jan Delay und Disko No. 1 liefern fette Bläsersätze

Während die einen draußen trauern, wollen die anderen feiern und tanzen. Und Delay und seine zehnköpfige Band Disko No. 1 liefern von der ersten Sekunde an ab. Mit fetten Bläsersätzen und einem Reggae-Beat beginnt das Ensemble, dann tänzelt Delay zu „Intro“ auf die Bühne. Wie gewohnt mit weißem Hut, Sonnenbrille und hellblauem Anzug über weißem T-Shirt. Die Anzugjacke schmeißt er schon bei „Klar“, der zweiten Nummer, hinter sich und signalisiert damit, dass dies ein schweißtreibender Abend wird.

Wie ein Hampelmann wirft Delay die Beine hoch, es ist nur einer von unzähligen Tanz-Moves, die die Stimmung zum Kochen bringen. Selbst wenn die Leute zum Bierholen oder in Richtung Dixi-Klos gehen, tänzeln sie im Slalom durch die Umstehenden. Der Sound von der Bühne entfacht einen Sog, dem sich niemand entziehen kann.

Die Musik, die Jan Delay seit Jahrzehnten macht, speist sich vor allem aus afroamerikanischen Vorbildern: Hip-Hop, Funk, Soul, Disco, dazu noch Latin und Reggae und das ausschließlich mit deutschen, wortwitzigen Texten. An diesem Abend ist Reggae ein wichtiges Element der Show, denn die jamaikanischen Rhythmen stehen für Sonne. Die ist zwar noch nicht untergegangen, doch dunkle Wolken ziehen mit zunehmender Dauer über den Volkspark. Mit Musik, die für gutes Wetter steht, wolle er die Wolken vertreiben, kündigt Chefstyler Delay an und spielt „Vergiftet“.

Jan Delay widmet weiteren Song Uwe Seeler

Das war einer der Schlüsselsongs seines ersten Soloalbums „Searching For The Jan Soul Rebels“, das vor 21 Jahren erschienen ist. Mit der Coverversion von Nenas „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ geht es weiter und Musiker und Publikum haben Glück: Es fällt zwischen 20.30 und 22.30 Uhr kein einziger Tropfen vom Himmel. „Wenn es zu regnen angefangen hätte, hätten wir ,Wassermann’ gespielt“, sagt Delay. Doch die Nummer wird auch ohne Regen angestimmt, und auch diesen Song widmet er Uwe Seeler.

Fünf Soloalben hat Delay in den vergangenen zwei Jahrzehnten herausgebracht und jedes enthält ein paar Songs, die man nur als „Kracher“ bezeichnen kann. Die meisten davon stehen an diesem Tag auf der Setliste des Rappers und Sängers und seiner erstklassigen Band, die ihn schon seit 16 Jahren auf der Bühne und im Studio unterstützt. Neu formiert sind die sogenannten Delaydies, drei Sängerinnen, die für Delay den stimmgewaltigen Chor bilden. Sie sind dauernd in Bewegung und animieren die Fans, nicht mit dem Tanzen aufzuhören.

Zur Show gehören auch die etwas infantilen Mitmach-Elemente, aber jeder ist sofort bereit mitzumachen, egal ob Teenager oder Angehöriger der Generation Ü50. Da werden bei „Oh Jonny“ T-Shirts und Halstücher wild über dem Kopf geschwenkt, bei „Feuer“ müssen alle in die Hocke gehen und im Zugabenteil bei einem Disko-Potpourri fehlt auch der obligatorische Stopp-Tanz nicht.

Jan Delays bewies Gespür für die richtige Dramaturgie

„Wo geht die Party ab? Hier geht die Party ab!“ heißt es in „Action“. Die Band, die Sängerinnen und ihr Chef schaffen es, zum Ende der Show noch ein paar weitere Schippen draufzulegen, die letzten Songs vor den Zugaben sind ein regelrechtes Disko-Inferno. Verschnaufpausen gibt es nicht. „Earth, Wind & Feiern“ ist der Titel des letzten Studio-Albums und das ist an diesem Abend Programm. Man spürt, wie ausgehungert das Publikum nach der langen Pandemie-Zeit nach Konzerten ist, in denen es sich verausgaben kann.

„Saxofon“, mit Soli von Lieven Brunckhorst über Gerry Raffertys „Baker Street“ und George Michaels „Careless Whisper“, ist ein weiterer Höhepunkt dieses mitreißenden Abends. Auch ein ganz neues Stück ist im Repertoire, das noch nicht einmal auf dem aktuellen Live-Album enthalten ist. Es heißt „Der Bass und die Gang“ und fügt sich nahtlos ins Programm ein. Und auch Das Bo taucht auf. Bei „’türlich, ‘türlich“, einer Nummer seiner Band Fünf Sterne Deluxe, rappt er die berühmte Zeile „Bass, Bass, wir brauchen Bass, was geht’n Alder“.

Wieder einmal hat Jan Delay mit seinem Charisma, seiner Energie und seinem sicheren Gespür für die richtige Dramaturgie gezeigt, dass er – neben dem von ihm verehrten Udo Lindenberg – der wohl wichtigste Hamburger Popkünstler ist. Und das, seit er Mitte der 90er-Jahre mit dem Hip-Hop-Trio Absolute Beginner aufgetaucht ist. Konzerte mit ihm und seiner Band sind nicht nur ein großer Spaß für alle Beteiligten, sondern auch Unterhaltung auf hohem Niveau.

Die einzige ruhige Nummer des Abends gibt es kurz vor Ende mit dem nachdenklichen „Hoffnung“. Zum Schluss dann „St. Pauli“ vom Album „Hammer & Sichel“. Trotz Uwe Seelers Tod will Jan Delay auf dieses Lied nicht verzichten, denn es ist sein Bekenntnis zu Hamburg. Für ihn ist dieser Auftritt ein Heimspiel – auch wenn er sich eigentlich am falschen Stadion befindet.