Hamburg. Wie man sich unter Superstars noch von der Masse abhebt, können die kalifornischen Best Ager vielleicht nicht erklären. Aber zeigen!

  • Die Red Hot Chili Peppers haben ein umjubeltes Konzert in Hamburg gegeben
  • Das Volksparkstadion wurde bei Überhits wie "Give It Away" zum Tollhaus
  • Der Klassenunterschied zu A$AP Rocky (eigentlich selbst Superstar) ist spürbar

Wie schön man doch in Würde altern könnte: Ein Wohnmobil kaufen, Modell „Vantana“, deutlich kürzer treten, in den Garten gehen, oder ein neues Hobby finden. Alles drin für einen angehenden „Best Ager“.

Michael Peter Balzary, Spitzname Flea, entscheidet sich für einen abenteuerlichen Sprint über die riesige Bühne vor der Nordtribüne im Volksparkstadion. Ohrfeigt die Saiten seiner Bassgitarre, stampft wie Rumpelstilzchen, schüttelt den Kopf und grinst ein ledernes Lachen, als wäre der Leibhaftige in ihn gefahren. Untenrum trägt er einen Männerrock und obenrum ein lilafarbenes Netzunterhemd.

Red Hot Chili Peppers: Es riecht nach Kalifornien, Meer und Sex

Warum macht man das? Weil Zehntausende ihn am Dienstagabend im Sonnenuntergang bejubeln, diesen gewaltigen Zirkus namens Red Hot Chili Peppers, der noch immer nach Kalifornien, Meer, Sonnencreme und Sex riecht. Vor allem aber: Weil diese Band, eine der größten der Welt, statt der Funk-Rock-Rente an diesem Abend ein kleines bisschen Wiedergeburt feiert.

Das beginnt mit purem Krach. Flea und Gitarrist John Frusciante stehen sich gegenüber, stacheln sich an und schaukeln sich hoch, drei Minuten lang. Chad Smith an den Drums steht beim Versuch, hinterherzukommen, der Mund offen. Sänger Anthony Kiedis hat erstmal gar nichts zu sagen.

Die Zuhörer aber brennen, und im Applaus schleicht sich erst der Song heran, „Around The World“. Nüchtern betrachtet: Ein Song auf locker zuckelnden Riffs darüber, wie schön die Welt ist – mit Strophen aus mehr oder minder aneinandergereihten Städten, Regionen und US-Bundesstaaten. Und wo das aufhört, macht „Dani California“ noch konsequenter weiter. Kiedis zieht das Hemd gleich aus und wirbelt in langgezogenen Kreisen über die Bühne.

Volksparkstadion: Wer die Red Hot Chili Peppers hasst, hat sie nicht verstanden

Es gibt Menschen, die die Chili Peppers für dieses Rezept hassen. Die Menge im Volksparkstadion, die sich in Kleingruppen schon gegenseitig selig ins Kreuz springt oder auf den Tribünen tanzt, würde sagen: Ihr habt es nicht verstanden. Und damit Recht behalten. Es geht um den „Vibe“, gerade das, was der Kopf nicht fassen kann.

Während Flea den leicht esoterischen Zeremonienmeister gibt, zwischendurch „Power to the people“ ruft und von Erfüllung redet, ist John Frusciante dabei der Chefzauberer. Ein Eigenbrötler, keine Rampensau wie Flea, und ein verlorener Sohn. Nach den übererfolgreichen Alben „Californication“, „By The Way“ und „Stadium Arcadium“ verließ er die Band erneut, kam nun für „Unlimited Love“ zurück.

Frusciante steht die meiste Zeit nur da, in erdfarbener 90er-Jahre-Klamotte, spitzt die Lippen für die ,Ohhhs zu Kiedis’ Sprechgesang und frickelt Scharfkantiges aus der Gitarre, mehr Töne gedämpft als offen gespielt.

Er kann ganze Landschaften damit erschaffen („The Zephyr Song“), aber „Aquatic Mouth Dance“, ein neuer Song, klingt dann einfach wie eine Jam-Session unter Freunden. Die Band gibt ihm immer wieder viel Raum, sich in Soli zu verlieren. Die Zuhörer danken es mit Frusciante-Sprechchören vor der Nordtribüne.

Vielleicht ist das der wesentliche Unterschied zur vorigen Ära, in der Josh Klinghoffer den abwesenden Stammgitarristen vertrat: Die Chili Peppers klangen oft, als wären sie gleichzeitig müde und müssten etwas beweisen. An diesem Dienstagabend scheinen sie das Publikum beinahe zu vergessen. Spielereien vor und nach fast jedem Song, kleiner Smalltalk. Es macht gelassen, Meisterwerke wie „Otherside“ noch in der Hinterhand zu haben und sie dann zurückgelehnt in ein begeistertes Publikum feuern zu können.

Seit Frusciante zurück ist, sprechen die Peppers viel von spiritueller Energie

Mit der Zeit ergibt das einen Sog, der einen verstehen lässt, warum alle Bandmitglieder so viel von spiritueller Energie sprechen, seit Frusciante zurück ist. Da steht auch (wieder) eine alte, tiefe Verbindung auf der Bühne.

Es gibt sicher Künstler, die inzwischen näher am Zeitgeist sind, wie der Rapper A$AP Rocky, der das baufällige Volksparkstadion im Vorprogramm sauber mit Bässen und Reimen traktierte, aber dessen gefühlvollste Refrainzeile nach eigener Aussage, nun ja, „That’s my bitch“ heißt. Auch A$AP Rocky ist ein Superstar – aber da bleibt ein Klassenunterschied, wie man im Volksparkstadion sagt.

Flea gibt einen improvisierten Hamburg-Song zum besten

Das Alter von um die 60 Jahre (nur Frusciante ist einige Jahre jünger) ist ,den Chili Peppers an diesem Abend zumindest vorübergehend anzuhören, die Stimme von Anthony Kiedis klingt immer häufiger verrutscht, kämpft mitunter gegen eine übersteuerte Technik. Manche neue Songs, etwa die Single „Black Summer“, zünden auch live nicht so recht. Fast scheint die Stimmung einzuschlafen.

Und dann kommen sie doch zurück. Flea improvisiert einen Hamburg-Song darüber, wie sie einst im Docks erstmals hanseatische Bühnenluft schnupperten, kündigt den „langsamsten Song der Welt“ an. Es folgt „Nobody Weird Like Me“, ein hammerhartes Brett aus den wilden 80er-Jahren.

Red Hot Chili Peppers: Das Volksparkstadion wird zum Tollhaus

Mit „Give it Away“ drehen die Chili Peppers endgültig die Temperatur auf und die Zeit etwas zurück, Flea vollführt gesprungene Kniebeugen, das Volksparkstadion ist ein Tollhaus. Statt etwa „Under The Bridge“ anzustimmen, beginnt die einzige Zugabe mit „Sir Psycho Sexy“, noch so ein Stück aus ungezügelten Tagen. „By The Way“ ist das letzte, vertraute wie große Hurra.

Flea, Kiedis und Frusciante stehen in der Bühnenmitte kurz zusammen, lächeln sich an. „Bis wir uns wieder sehen“, ruft Kiedis zum Schluss. Man darf sich darauf freuen.