Hamburg. Molières „Der eingebildete Kranke“ überzeugt auch unter widrigen äußeren Bedingungen. Sensibles Figurenspiel ist jedoch nicht möglich.

Der Seerosenteich in den Wallanlagen ist ein verwunschener Ort. Ein wenig versteckt, nicht direkt einsehbar von den Spazierwegen, hinter einem kleinen Abhang, auf dem sich bequem sitzen lässt – quasi ein natürliches Amphitheater. Und damit der perfekte Platz für eine Theateraufführung unter freiem Himmel. Wäre da nicht der eisige Wind, der bei der Premiere „Der eingebildete Kranke“ vom auf Open-Air-Aufführungen spezialisierten U3-Theater die Dialoge verweht – widrige Bedingungen also, die das von Regisseur Hartmut Uhlemann angeleitete Ensemble allerdings problemlos meistert.

Seit zwei Jahren inszeniert Uhlemann, im Hauptberuf vielbeschäftigter Regisseur hauptsächlich in der Privattheaterszene, während der Sommermonate klassische Stücke in Planten un Blomen und den Wallanlagen. Ursprünglich entstand die Idee unter dem Motto „Kultur muss raus“ zu Beginn der Corona-Pandemie, bald aber entwickelte sich hier eine ganz eigene Ästhetik, die Bezug nahm auf die Tradition des Wandertheaters und die den jeweiligen Spielort wie selbstverständlich mit einbezog.

Großer Theaterspaß in den kleinen Wallanlagen

Inszenierungen wie die schon in der Vorlage auf Effekt und Überwältigung angelegten „Ein Sommernachtstraum“ und „Max und Moritz“ funktionierten so durch exzessives, volkstheaterhaftes Übertönen des Umfelds – aber klappt das auch bei Molières „Der eingebildete Kranke“? Einem Klassiker der feinen Wortwitzkomödie?

Sensibles Figurenspiel ist jedenfalls an diesem Ort nicht möglich. Das rein weibliche Ensemble um Jasmin Buterfas in der Rolle des Titelhelden Argon brüllt gegen den Wind (und die illegalen Kommunikationsversuche aus dem nahen Untersuchungsgefängnis) an, weite Wege werden um den Teich gegangen und wollen irgendwie gefüllt werden.

Das allerdings fügt sich überraschend gut. Mit ausladenden Gesten, Lautstärke und Lust an der Schmiere treiben die Darstellerinnen Molière jeden hochkulturellen Dünkel aus und verwandeln den Stoff so in einen charmanten Schwank, der sich selbst nicht zu ernst nimmt.

Spielfreude bei eisigen Wind in den Wallanlagen

Mehrere Schauspielerinnen spielen Doppelrollen, die durch die genretypischen Verkleidungen auch noch weiter verwirrt werden. Wenn Franziska Buchholz nacheinander Argons Schwester Beraldine, seinen Schwiegersohn in spe und einen betrügerischen Notar spielt, dann deutet nur ein Kostümdetail die neue Rolle an, wenn sich Dienstbotin Toinette (Antje Otterson) als Arzt verkleidet, dann wird das mit einem lässigen „Die Robe macht den halben Arzt“ weggewischt. Niemand braucht genau ausgearbeitete Figuren, wenn man stattdessen Spielfreude und Nonchalance haben kann.

Nach knapp 90 Minuten kommt Uhlemanns knackig gekürzte Stückfassung zu einem harmonischen Ende, die böse Schwiegermutter (Yasemin Cec) ist abserviert, die Liebenden (Lina Sophie Weide und Kathleen Krause) sind vereint. Das Fazit des Abends: „Ihr Arzt ist ein Dummkopf, und den Rest – googlen wir!“ Ein großer Spaß.

„Der eingebildete Kranke“ wieder am 8., 12., 15., 16., 19., 22., 23., 26., 29., 30., 31. Juli und im August, jeweils 20.30 Uhr, Kleine Wallanlagen, Jungiusstraße 3; www.u3-theater.de