Hamburg. Mit Leidenschaft und Interesse am Publikum stellte der Schauspieler seinen Film „Die Zeit, die wir teilen“ persönlich vor.
„Unsere Zeit krankt daran, dass wir uns nicht miteinander austauschen. Es geht eigentlich immer nur um Sieg oder Niederlage. Dabei ist es doch etwas Tolles, sich von einer anderen Meinung überzeugen zu lassen.“ Mit einer Filmvorstellung der besonderen Art hat Lars Eidinger (46) am Sonntagabend ganz praktisch etwas dafür getan, dass wir mal wieder miteinander reden. Über Film, Theater, Familie, Tod, sich nicht gerne im Spiegel anschauen. Und, ja klar, auch darüber, wie es so ist, mit der großen Isabelle Huppert zu drehen. Sie zu küssen.
Im Zeise präsentierte Eidinger, bekannt aus „Tatort“, „Babylon Berlin“, „Nahschuss“, vor fast ausverkauftem Saal „Die Zeit, die wir teilen“ von Laurent Larivière (Kinostart: 31. August). Darin spielt er einen exzentrischen Autor, der sich in seine Verlegerin (Isabelle Huppert) verliebt, die aber mit ihrer tragischen Familiengeschichte beschäftigt ist, sich in ihr Ferienhaus zurückzieht und ihr Leben Revue passieren lässt.
Zeise Kino: Lars Eidinger ist berühmt für Exzentrik
Begrüßt durch Zeise-Leiter Matthias Elwardt kam der Schauspieler auf die Bühne. Dunkel gekleidet, die Haare asymmetrisch geschnitten, mit schwarz lackierten Fingernägeln. Die wohl von den meisten Zuschauerinnen und Zuschauern erwartete Exzentrik – wofür Eidinger in seinen Rollen und bei öffentlichen Auftritten bekannt ist – trat gleich in den ersten Minuten in den Hintergrund, da schwärmte ein Star vom anderen: „Für mich ist Isabelle Huppert die Schauspielerin. Und es ist ehrlich gesagt immer noch so, dass ich mir manchmal gar nicht vorstellen kann, dass es sie wirklich gibt. Wie Micky Mouse. Und dann ist man immer so hin- und hergerissen, wie man sich gibt. Auf der einen Seite will man nicht so star strucked sein, aber ich will auch nicht so tun, als wenn es das Normalste von der Welt wäre, dass ich mit Isabelle Huppert spiele“, sprach Eidinger ins Mikro.
Doch sie habe es ihm sehr leicht gemacht. „Ich kannte sie ein bisschen, weil sie eine leidenschaftliche Theatergängerin ist und mich nach einer Aufführung beglückwünscht hat. Das machen die so in Frankreich, das finde ich sehr sympathisch. Ich dachte, dass mich in Frankreich keiner kennt.“ Es sei interessant, dass man deutschen Schauspielerinnen erklären müsse, dass man an der Schaubühne arbeite (nicht Volksbühne!). „Wenn ich in Frankreich bin, kennt mich jeder von dieser Bühne. Alle unsere Produktionen werden ja auch dort gezeigt.“
Kuss mit der strengen Isabelle Huppert – trotz Corona
In Lyon waren beide Darsteller während des Filmdrehs im selben Hotel untergebracht. Eines Abends habe Isabelle zu ihm gesagt ,Ich gehe jetzt schwimmen. Kommst du mit?’. Und dann sei er um 23 Uhr im Garten mit ihr schwimmen gewesen. „Da stand ein Fahrrad im Becken – vielleicht sollte man darauf im Wasser trainieren – auf jeden Fall bin ich eine Stunde neben ihr hergelaufen, während sie schwamm. Wir haben uns unterhalten. Das war total schön. Unvergesslich.“
Unvergesslich auch die Kussszene gleich am ersten Drehtag, bei der wegen der Ansteckungsgefahr diskutiert wurde, ob sich die Lippen der Küssenden überhaupt berühren sollten. „Da habe ich einmal im Leben die Chance, Isabelle Huppert zu küssen. Und jetzt soll sie ernsthaft ihre Hand davor halten.“ Er sei ja eigentlich eher faul und bereite sich wenig auf seine Rollen vor („Dafür ist der Moment zu kostbar“), aber er habe sehr lange seinen französischen Text gelernt, „es war meine wichtigste Szene. Ich hatte ein bisschen Angst vor Isabelle, sie gilt ja als streng und dominant“. Und tatsächlich habe sie kurzfristig die Einstellungen geändert, sodass er seinen Text mit dem Rücken zum Publikum sprechen sollte. Am Ende habe er sich aber einfach elegant umgedreht – und die beiden küssten sich richtig. „Das war dann natürlich doppelt schön.“
Zeise: Hamburger Publikum diskutiert mit Lars Eidinger
Dass im Zeise das Original mit Untertiteln gezeigt wurde, fand Lars Eidinger super. Von Synchronisationen halte er gar nichts, da gehe soviel Authentisches verloren. „Meine 15-jährige Tochter würde sich nie synchronisierte Filme ansehen.“ Apropos Authentizität: Noch in diesem Jahr kommt eine Dokumentation über ihn in die Kinos: „Lars Eidinger – Backstage“ von Reiner Holzemer. „Als der Regisseur mir den fertigen Film zeigen wollte, dachte ich: ,Was für eine bescheuerte Idee war das denn? Das ist so, als würde jemand ein Foto von dir in der ganzen Stadt aufhängen, das du nicht magst. Meine Frau hatte schon überlegt, ob wir einen 500.000-Euro-Kredit aufnehmen, um zu verhindern, dass der Film erscheint. Aber er ist wirklich super geworden. Man versteht, wie Film und Theater funktionieren, warum jemand Schauspieler werden will.“
Gegen 23 Uhr war der offizielle Teil des Abends zu Ende. Doch der Schauspieler hatte offenbar noch große Lust, zu diskutieren und machte vor dem Saal einfach weiter, wollte wissen, wie die Zuschauer den Film fanden, freute sich darüber, dass eine alleinerziehende Mutter besonders gerührt war davon. Ob er mit seinem Aussehen zufrieden sei, wollte eine andere Dame wissen. „Natürlich achte ich bei mir auf eine bestimmte Stelle, die verrate ich aber nicht.“ An guten Tagen riskiere er einen Blick in den Spiegel.
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„Aber wir renovieren gerade unsere Wohnung, und tatsächlich überlege ich, überhaupt keinen Spiegel aufzuhängen. Es wäre toll, mal einen Film ganz ohne Maske und Schnitt zu drehen, zu zeigen, wie die Schauspieler im wahren Leben aussehen.“ Isabelle habe ihm fast leid getan: „Sie weiß, dass die Leute sie ansehen und denken, ,Hat sie sich operieren lassen? Wenn ja, ist es verdammt gut gemacht.’. Sie hat ständig einen kleinen Spiegel bei sich und kontrolliert ihr Make-up. Das muss ganz schlimm sein.“
Der Schauspielkollege Tom Schilling hat in einem Fernsehinterview mal gesagt, er sei ein bisschen neidisch auf Lars Eidinger. Der käme in einen Raum, und alle würden sich sich sofort wohlfühlen. Diese Gabe – das hat der Abend im Zeise bewiesen – besitzt Eidinger. Auch, wenn es nur eine Seite von vielen ist, die er dem Publikum gezeigt hat. Den Star zum Anfassen kann er gut.