Hamburg. Patin Martha Argerich bestimmte das Konzert nur zu 50 Prozent. Erste Ideen für die fünfte Auflage im Frühsommer 2023 gibt es bereits.
Was immer Martha Argerich tut, lässt oder einnimmt, um mit ihren jugendlichen 81 Jahren in so bestechender pianistischer Form zu bleiben – es wirkt. Höchstwahrscheinlich ist es schlicht die hochdosierte Bühnenluft, angereichert mit Lampenfieber, Beifall und, keine plump anbiedernde Untertreibung: Liebe, von ganzem Herzen, in alle und aus allen Richtungen. Nach gut einer Woche, etlichen gewollten und einigen unfreiwilligen Änderungen endete ihr viertes Festival in der Laeiszhalle mit einem Finale, das nur zu 50 Prozent von ihr bestimmt wurde. Grundsätzlich schade, aber der sicher strapazierten Kondition wegen völlig verständlich.
Die erste Hälfte überließ die Festival-Patin den Turbo-Klezmerim des französischen Sirba Octet, die allesamt klassisch trainiert und sozialisiert sind, aber irgendwann ihr Faible für eine rasante Mischung aus Jiddischem und osteuropäischer Folklore entdeckt hatten. Der Klarinettist und der Zymbalist spielten unter dem Motto „Tantz!“ ihre Instrumente heiß, die beiden Geiger würzten einige der Titel mit optisch interessanten Hüpfeinlagen, Lebensfreude und sportlichen Ehrgeiz beim Schneller, Höher, Wilder verkörpernd. Wie bei jedem Spartenprogramm: Man kann das mögen und sich überraschen lassen, falls es eine Begegnungs-Premiere sein sollte. Der Spaß, den die sieben Herren und die Dame am Cello hatten, sprang jedenfalls flott ins Publikum über.
Argerich-Festival-Finale: Vier Hände und kein Halleluja
Nach der Pause war ursprünglich eines der Ravel-Klavierkonzerte geplant, mit den Symphonikern Hamburg und deren Chefdirigent Sylvain Cambreling. Aus dem Stück mit einem Klavier wurde Poulencs viel zu selten gespieltes Konzert für zwei Klaviere. Für den erkrankten Cambreling sprang in vorletzter Minute der Brasilianer Ricardo Castro ein. Dessen Lebenslauf als Pianist und auch als Musikvermittler ist beeindruckend; als Dirigent spielte er in einer anderen Liga. Tschaikowskys „Romeo und Julia“-Fantasie-Ouvertüre war nicht überall fantastisch. In der Einleitung gerieten einzelne Instrumentengruppen mal mehr, mal weniger zusammen, das Stück wirkte buchstabiert und nicht melodramatisch fließend. Castro justusfrantzte sich eher durch.
Umso packender und dankbarer der Poulenc. Ein Stück wie ein schillerndes Stil-Puzzle, bei dem die Einzelteile ganz bewusst nicht zueinander passen. Als Sparringspartnerin am anderen Flügel hatte sich Argerich die Pianistin Polina Leschenko gewünscht, und die ließ sich weder durch die notierten Herausforderungen noch durch ihr Gegenüber aus der Ruhe bringen. Sehr charmant flanierten die beiden durch den Mittelsatz, den der Franzose als leicht verrutschte Mozart-Hommage inszeniert hat. Die jazzig angehauchte Brillanz im Finale, das leicht dahingeworfene Schwere – die beiden waren auf einer Wellenlinie und gönnten sich als Zugabe Lutoslawskis schweißtreibend schwere „Paganini-Variationen“.
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Die Gesamtauslastung – den ausgefallen Trifonov/Babayan-Abend nicht mitgerechnet – lag bei rund 75 Prozent, hieß es, und dass die ersten Ideen für Argerich V im Frühsommer 2023 bereits vorhanden sein. Den Durchgang 2022 beendete Argerich mit nicht einem, nicht zwei, sondern, sicher ist sicher, fröhlich mit drei Gongschlägen. Letzter Jubel, letzter Abgang. Warten auf die nächste Runde.