Hamburg. Die Pianistin taucht mit dem hingebungsvollen Bariton Michael Volle in die Seelendüsternis der Musik ein. Und Flamenco gab es auch.

Die Lobeshymnen auf Martha Argerich schwärmen oft von ihrem Feuer, ihrer Leidenschaft und Virtuosität. Stimmt alles. Ist aber höchstens die halbe Wahrheit. Denn die 81 Jahre alte Pianistin ist auch eine Seismographin feinster emotionaler Ausschläge. Das macht sie, neben vielem anderen, zu einer außergewöhnlichen Liedpianistin.

Am vorletzten Abend des Argerich-Festivals, im Kleinen Saal der Laeiszhalle, wird die Aufführung von Schumanns „Dichterliebe“ mit dem Bariton Michael Volle deshalb zum Ereignis. Der Zyklus auf Texte von Heinrich Heine durchlebt verschiedene Stadien verzehrender Liebe, vom Überschwang bis zur Einsamkeit und Verzweiflung.

Martha Argerichs Spiel sticht direkt ins Herz

Gleich im Vorspiel zum ersten Lied, „Im wunderschönen Monat Mai“, dehnt Argerich einen Schmerzenston im Klavier ein kleines bisschen, sticht uns direkt ins Herz. Damit deutet sie die Richtung an, die brennende Intensität, die noch kommen wird. Die Pianistin kennt die Himmelhochs und Tiefs des Stücks, sie weiß um die Rollen, die Schumann dem Flügel zugedacht hat: Das Instrument grundiert die Stimmungen, setzt Akzente, lässt Melodien der Vokalstimme nachklingen oder bereitet sie vor.

Der erfahrene Michael Volle bringt dasselbe Maß an Hingabe und Ausdruckskraft mit. Obwohl durch Wagner-Partien gestählt, ist sein Bariton flexibel und beweglich geblieben. Sehnsüchtig besingt er die heilende Kraft des Küssens („Wenn ich in deine Augen seh“), flüstert beinahe atemlos von der Liebeswonne („Die Rose, die Lilie…“), und modelliert einen eisig schwarzen Ton, als die Gefühle der Geliebten erkaltet sind („Ich grolle nicht“).

Wie er gemeinsam mit Martha Argerich in die immer tieferen Abgründe eintaucht, in die Seelendüsternis der Musik und ihre Schockmomente: das ist eindringlich und aufwühlend. Als Volle davon singt, wie das Herz zerreißt, meißelt Argerich Akkorde, als würden die Saiten bersten. Wow.

Durch diese packende Schumann-Interpretation verblasst der Auftakt des Programms, mit Schuberts Sonatine für Geige und Klavier, im Nachhinein ein wenig – obwohl Michael Barenboim und Elena Bashkirova dicht und konzentriert spielen.

Argerich-Festival: Mitreißende Flamenco-Gruppe

Und nach der Pause? Gibt’s im Grunde noch ein eigenes Konzert. Die Farben und Sounds der fünfköpfigen Flamenco-Gruppe kommen aus einer ganz anderen Welt. Faszinierend, der Kontrast zwischen Strenge und Freiheit: Einerseits die straffen Rhythmen, geschlagen vom Perkussionisten und dem gedämpften Händeklatschen von zwei Backgroundsängerinnen.

Und andererseits die oft wie improvisiert wirkenden Eruptionen des Gitarristen Diego del Morao und der phänomenalen Sängerin Marina Heredia: mit dem typischen, etwas heisereren Klang des Flamenco und mit den Verzierungen, die den Einfluss der arabischen Musik verraten. Mitreißend. Für die vielen nicht spanischsprachigen Menschen im Publikum hätte eine Übersetzung geholfen, mehr vom Inhalt zu verstehen. Dass dieser Gesang oft, wie bei Schumann, aus dem Schmerz geboren ist, spürt man allerdings auch so.