Hamburg. Das Festival in Hamburg wurde von einem Jazz-Gitarristen eröffnet. Warum der Auftakt eher unter Aufwärmen abzuheften ist.
Ein Honigkuchenpferd, ein extrem glückliches, ausgewachsenes Honigkuchenpferd sogar. Ob der kalifornische Jazz-Gitarrist Julian Lage auch nur den Hauch einer Ahnung hat, wie breit diese Tiere sprichwörtlich grinsen können, mag zu bezweifeln sein. Irgendwo, irgendwann sei er Martha Argerich begegnet, die habe er schon als Kind so einzigartig gefunden, wie sie ist, hatte Symphoniker-Intendant Daniel Kühnel vor dem ersten Ton des Abends über Lage berichtet. Und wie das manchmal so kommt, sie hat ihn zu Runde vier ihres großfamiliären Hamburger Festivals eingeladen.
Da saß Lage dann also neben seinem Verstärker und staunte am Ende des Auftritts selig lächelnd mit übergroßen Augen über den Anblick eines prunkvollen Konzerthauses, Welten entfernt von dem Aroma der für ihn üblicheren Club-Bühnen. Und wohl auch verdutzt, dass einige Gitarrenlängen entfernt eben diese Pianistin mit ihm einen Kern/Hammerstein-Klassiker dahinzauberte, während der Cellist Mischa Maisky leicht unterbeschäftigt in den Akkordwechseln von Peggy Lees nostalgischer All-American-Kleinstadt-Ballade „The Folks Who Live On The Hill“ herumgründelte. Honigkuchenpferd, ganz eindeutig.
Argerich-Festival: Lage aus New York eingeflogen
Nur für diesen einen Abend aus New York eingeflogen und sicher vom noch frischen Jetlag gebeutelt, spielte Lage den Großen Saal der Laeiszhalle zunächst eine sehr charmante halbe Stunde lang in Laune, als genrefremde Ein-Mann-Vorband für die erste klassische Konstellation des ersten Argerich-und-Co-Abends. Eine reichlich argerichige Programm-Idee, um in ihr Festival zu starten. Aber, andererseits: Was gut funktioniert, hat nun mal Recht.
Doch Lage gab sich, bei allen Lorbeeren, die er sich in den vergangenen Jahren mit etwa einem Dutzend eigener Alben verdient hat und obwohl er ganz anders könnte, auch nicht als Verstörfaktor. Seine Gitarre träumte sehr geschmackvoll vor sich hin, sanft und stilsicher, mit klassischen Anspielungen auf die Ahnengalerie der coolen, blueskompetenten Altmeister. Jim Halls leiser Minimalismus – nur keine eitle Note lostreten, wo es auch eine vielsagendere Pause tut – und Bill Frisells dezenter Country-Twang standen Pate für die verträumten Midtempo-Nummern und die Balladen.
Eine Sonate mit vielen Tücken
Das hatte durchgängig Stil und Timing und eine sehr eigene, gereifte und unaufdringlich schwungvolle Handschrift, also genau jene Zutaten, für die Argerich eine Schwäche hat. Wie schön auch, dass sie gern weiterhört als lediglich bis zur nächsten Opus-Zahl. Nach Lages zu Recht gefeiertem Solo folgte zunächst eine Sonate, die erstaunlicherweise mehr Tücken als notwendig hatte.
In Abstimmung mit Maisky hatte sich Argerich für drei Standardwerke des gemeinsam möglichen Repertoires entschieden, chronologisch sortiert: Beethovens op. 5/2, Chopin, Debussy. Und je freier, rhapsodisch unbändiger und wagemutiger die Stücke wurden, desto stimmiger gelang den beiden alten Freunden das Miteinander. Im Beethoven war das klassische Formkorsett und das Ringen des Cellos um Gleichberechtigung und Teilhabe noch allzu hörbar.
Argerich wirkte auf sonderbare Weise unterfordert
Maisky warf sich mit Virtuosen-Nachdruck ins Geschehen, als wäre dieses Frühwerk wie eines der Spätwerke mit Bedeutungsschwere aufzuladen. Zu gut gemeint, zu straff verhärtet, zu wenig gelöst singend. Und auch Argerich wirkte auf sonderbare Weise unterfordert und minderinteressiert am Ablauf. Wer Koch war und wer Kellner zu sein hatte, blieb unklar. Am besten also wäre es wohl, diese erste kleine Festival-Runde vor Publikum unter Aufwärmen und Ankommen abzuheften.
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Deutlich interessanter und kammermusikalisch dankbarer ging es nach der Pause weiter. Die Chopin-Sonate hat alles, was der Chopin-Fanblock an Herz und Schmerz begehren kann, nur eben auf zwei unterschiedliche, aber gemütsverwandte Instrumente verteilt. Romantisches Schmachten und Sehnen war hier nicht verpönt, sondern essenziell, von Anfang an wirkte das Zusammenspiel ungleich persönlicher und intimer. Maiskys Ton blühte auf, Argerichs Flügel hob mehr und mehr vom Boden ab. Die beiden hatten ihren Rhythmus gefunden und die momentkurzen, strengen Kontrollblickchen, die Argerich da und dort über ihre rechte Schulter zu Maisky abschoss, endeten so schnell im Zufriedenen, wie sie begannen. Alles in Ordnung, mein Freund, es läuft mit uns beiden.
Argerich-Festival: Höchstmaß an Synchronfühlen gefordert
Die faszinierenderen Struktur-Auflösungserscheinungen, mit denen Debussy seine späte Cellosonate wie ein pointilistisches Klanggemälde inszeniert, lagen den beiden am besten. Maiskys Cello-Ton wandelte sich dafür ins fein Pastellige. Die Pizzicato-Passagen im Mittelsatz, von Argerich mit Spaß an den Lücken extrem sparsam grundiert, verlangten und erhielten ein Höchstmaß an Synchronfühlen und gespannter, kluger, ästhetisch gebildeter Aufmerksamkeit.
Infos über das Argerich Festival (bis 29.6.): www.symphonikerhamburg.de. Album: Julian Lage „Squint“ (Blue Note, CD ca. 15 Euro)
Abgesagt! Zweites Konzert, heute, 19.30 Uhr: Daniil Trifonov und Sergei Babajan, Klavier, mit Werken von Schumann, Pärt, Mozart, Debussy und Rachmaninow. Laeiszhalle, Gr. Saal. Grund: Armverletzung von Trifonov.