Hamburg. Performativer Rundgang „Decolonycities Windhuk-Hamburg“ untersucht Verhältnis Hamburgs zur früheren Kolonie Deutsch-Südwestafrika.

Sanft seien die Schiffe mit Soldaten aus dem Hafen geglitten, auf dem Weg ins damalige Deutsch-Südwestafrika, einer deutschen Kolonie auf dem Gebiet des heutigen Namibia, um dort ab 1904 mit dem Völkermord an den Herero und Nama den ersten industriell organisierten Genozid der Geschichte zu begehen.

Sanft seien die Schiffe geglitten, begleitet von patriotischen Gesängen, „Deutschland, Deutschland“ und „Die Wacht am Rhein“, und weil man sich gerade auf einer Barkasse befindet, die sanft unter der Magdeburger Brücke hindurchgleitet, glaubt man plötzlich, selbst solche Melodien im Ohr zu haben.

Kampnagels perfomativer Spaziergang durch Hamburgs koloniale Vergangenheit

Die seit 30 Jahren in Hamburg lebende Choreografin Yolanda Gutiérrez hat immer wieder performative Spaziergänge entwickelt, die sich mit der kolonialen Vergangenheit der Stadt auseinandersetzen. Die jüngste Ausgabe „Decolonycities Windhuk-Hamburg“ reiht sich ein in Arbeiten zur Bedeutung Otto von Bismarcks („Bismarck Dekolonial“, 2021) oder dem Verhältnis Hamburgs zu Tansania („Decolonycities Dar Es Salaam-Hamburg“, 2019), formal ist das Konzept also mittlerweile etabliert: Man durchquert den Stadtraum, über Kopfhörer erfährt man Fakten zum jeweiligen Thema, und an ausgewählten Stationen erlebt man künstlerische Interventionen.

Diesmal geht es vom Museum für Hamburgische Geschichte zum Bismarckdenkmal am Elbhang, dann durch das Portugiesenviertel, in dem Hamburg einerseits als schon immer migrantisch geprägte Metropole kenntlich wird, andererseits auf die koloniale Vergangenheit der bis 1974 andauernden Salazar-Diktatur in Portugal hingewiesen wird, schließlich betritt man am Baumwall eine Barkasse.

Was die Produktion auf ein ganz neues Niveau hebt. Denn hier erlebt man die koloniale Vergangenheit direkt, in Tänzen und Gesängen von Faizel Browny, Justina Andreas und West Uarije sowie in Kostümperformances der Bildenden Künstlerin Vitjitua Ndjiharine.

Mehr als eine historische Hafenrundfahrt

Und man erfährt, wie wenig Hamburg seine Vergangenheit aufgearbeitet hat. Die Fahrt geht vorbei am Columbushaus, am Vasco-da-Gama-Denkmal, am neu gestalteten Amerigo-Vespucci-Platz – eine Stadtlandschaft, geprägt von Figuren, die als visionäre Entdecker gefeiert werden, die aber auch als brutale Kolonisatoren gesehen werden können.

Und wie Yolanda Gutiérrez diese Stadtlandschaft zur Bühne macht, wie sie Geschichte choreografiert, und wie sie Hamburg kritisch schillern lässt – das ist große Kunst. Die den wahrscheinlich berührendsten Teil der „Decolonycities“ -Reihe weit über das Infotainment einer historischen Hafenrundfahrt hinaushebt.

Decolonycities Windhuk-Hamburg wieder am 25.6., 17.30 Uhr, 26.6., 11.30 Uhr und 17.30 Uhr, Start am Museum für Hamburgische Geschichte, Holstenwall 24, Tickets bei Kampnagel.