Hamburg. Als eine der „Drei Damen vom Grill“ war sie einst Kult. Mit 86 Jahren gastierte die Schauspielerin nun bei den Privattheatertagen.

Ein schmuckloser Tisch, eine rote Rose, die einzige Darstellerin Brigitte Grothum in Schwarz gekleidet. Mehr benötigt es nicht, um einen ganzen Saal mit einem fast 90-minütigen Monolog in den Bann zu schlagen – zumindest, wenn das Schauspiel so grandios ist, wie am Mittwochabend in den Hamburger Kammerspielen.

In „Ein deutsches Leben“, einem Gastspiel des Berliner Schlosspark Theaters bei den Privattheatertagen, konfrontiert die 86-jährige Grothum das Publikum mit Gefühlen, denen es sich freiwillig kaum gestellt hätte. In der Rolle der Brunhilde Pomsel macht sie die persönliche Geschichte der Sekretärin des einstigen NS-Propagandaministers Goebbels so nahbar, wie es eine Nazibiografie eher selten ist.

Privattheatertage Hamburg: Brigitte Grothum als Nazi-Sekretärin

Wenn Grothum, als Volksschauspielerin meist mit „Drei Damen vom Grill“ assoziiert, sich in Brunhilde Pomsel verwandelt, packt sie ein reiches Emotionsrepertoire aus. Verve oder Verzweiflung, Trauer oder Nachdenklichkeit. Den bedrohlich großen Schatten ihres enthusiastischen Hitlergrußes betrachtet sie beinahe kindlich. Bis auf kurze, wenig ausdrucksstarke musikalische Einspieler, historisches Audiomaterial und zwei Projektionen von Joseph Goebbels passiert auf der Bühne nur eines: Brigitte Grothum, die als Goebbels-Sekretärin in einer Tour Befremdliches äußert: „Da war ja noch alles in Ordnung, in der ersten Zeit mit Hitler.“ Nach der Vorstellung ist das Publikum mit der unausweichlichen Frage zurückgelassen: Hätte ich auch „mitgemacht“?

Neben Grothums schauspielerischer Leistung ist der zuweilen tragische, oft teuflisch unbekümmerte, teils sogar komische Text die Seele der Inszenierung von Philip Tiedemann. Der Monolog basiert auf einem erstaunlich detailreichen Interview, das Brunhilde Pomsel im Alter von 102 Jahren gab und das die Grundlage für den 2016 erschienenen Dokumentarfilm „Ein deutsches Leben“ war. Tiedemanns Fassung ist die deutschsprachige Erstaufführung und konkurriert, nach der krankheitsbedingten Absage der Stuttgarter Produktion „Snowden 3.3“, um den Monica-Bleibtreu-Preis in der Kategorie „(Zeitgenössisches) Drama“.

Privattheatertage bis zum 3.7.; Karten gibt es u.a. noch für „Wir, Kinder der Sonne“ aus Bochum (Altonaer Theater, Sa 25.6., 17 Uhr) unter www.privattheatertage.de