Hamburg. Zum Auftakt der jährlichen Veranstaltung in Altona überzeugt das Kölner Theater im Bauturm mit einem 90 Jahre alten, aktuellen Stück.

Man wirft eine Münze ein und zieht sich eine Stulle. Ein pragmatisches Prinzip. Ob sich das „Automatenbüffet“, vor einem knappen Jahrhundert eine ziemlich moderne Angelegenheit, also noch einmal gesellschaftlich durchsetzen wird? Beim derzeitigen Fachkräftemangel in der Gastronomie kein abwegiger Gedanke. Erst recht nicht, wenn es so frisch serviert wird wie die gleichnamige Satire zum Auftakt der diesjährigen Privattheatertage (PTT) am Altonaer Theater.

Fast scheint es hier, als habe sich Festival-Initiator und Hausherr Axel Schneider kleine Komödien-Miniaturen als Appetitanreger vorweg überlegt: Zunächst springt sein Mikrofon nicht an und er muss den Begrüßungsauftritt wiederholen, in dem er bemerkenswerte Zahlen aus der Festivalhistorie referiert (2500 Schauspielerinnen und Schauspieler, 90 Jurorinnen und Juroren, die auf der Suche nach originellen Inszenierungen insgesamt anderthalb Millionen Kilometer gereist sind) und in rasantem Tempo einen tagebuchähnlichen Einblick in die logistischen Unwägbarkeiten solch einer Unternehmung gibt.

Theaterkritik: Böse Gesellschaftssatire bei Privattheatertagen

Und als Jury-Mitglied David Gravenhorst während seiner Rede so lange slapstickhaft suchend alle Jackett- und Hosentaschen abklopft, bis schließlich ein Zuschauer die offensichtliche Lage der Brille („Um Ihren Hals!“) hereinruft, dürfte sich auch der Letzte warmgekichert haben. Eine Auf-den-ersten-Blick-Komödie allerdings ist das sich daran anschließende „Automatenbüffet“ nicht, auch wenn Regisseurin Susanne Schmelcher in ihrer Inszenierung vom Kölner Theater im Bauturm, die hier um einen der begehrten Monica-Bleibtreu-Preise antritt, dem Affen hin und wieder sehr großzügig Zucker gibt.

90 Jahre ist es her, dass Anna Gmeyners böse Gesellschaftssatire am Hamburger Thalia Theater uraufgeführt wurde. Zuletzt war das Stück der jüdischen Österreicherin (deren Arbeit damals erst hochgelobt, dann bald verboten wurde, und die man im britischen Exil weitgehend vergaß) gleich von mehreren deutschsprachigen Bühnen wiederentdeckt worden. Das Wiener Burgtheater hat es damit 2021, in einer Inszenierung von Barbara Frey, sogar zum Berliner Theatertreffen geschafft.

„Automatenbüffet“: Kömodie mit Schrulligkeitspotenzial

Und dass die Kölner Privatbühne (in Kooperation mit der Volksbühne am Rudolfplatz und dem Verein Freie Volksbühne) nun ebenfalls in eine Bestenauswahl geladen wurde, ist einerseits dem prächtig aufgelegten Ensemble zu verdanken, das sich lustvoll durch vorgeschnallte Schnurrbärte, Dickbäuche und den bewusst manierierten Tonfall spielt. Aber auch dem Volksstück selbst, das man mit seiner genauen Milieuzeichnung bei gleichzeitigem Höchstmaß an Schrulligkeitspotenzial auch gern im Spielplan einer der Hamburger Bühnen sähe.

Herr Adam fischt eine lebensmüde Eva aus dem Wasser und nimmt sie mit in sein Schnellrestaurant – vielmehr: ins Lokal seiner Frau, denn der Träumer hat bei der verbitterten Wirtin nicht viel zu melden. Weil aber das Automatenbüffet mit angeschlossenem Vereinshinterzimmer eine Art Dorfkern bildet („Wenn man sich einfügt, dann lässt es sich ganz gut leben“), verdreht das Auftauchen der jungen Nixe dem hier einkehrenden, vor allem männlichen (Klein-)Bürgertum kräftig den Kopf.

„Automatenbüffet“: Keine typische Komödie

Da sind der Apotheker und der Herr Stadtrat, der Redakteur und Oberförster Wuttlitz, teils von denselben Schauspielern und Schauspielerinnen verkörpert. Geschlecht und Rolle wechseln in diesem exzentrischen Reigen munter durch. Während Adam eine Fischzucht für das Volk plant und Eva dafür Lobbyarbeit betreibt (und dabei Verehrer und deren eifersüchtige Weibsbilder stabil abwehrt), sucht die Wirtin nach dem Unhold, der für sein,e Harzer Käseschnitte statt Groschen Bleiknöpfe in die Brötchenklappe schmeißt.

Susanne Schmelcher und ihrem Ensemble gelingt es, diesem kuriosen Typenpanoptikum wie dem gesamten Abend trotz der teils karnevalesken Überdrehungen die Melancholie zu bewahren, ebenso wie die subtile Bedrohung. Wie ein Seher geht der Obdachlose Puttgam (Gerd Köster) durch die Szenerie und kommentiert das Geschehen mit Kölschen Liedern

Als lebendige Jukebox mit Hut begleitet ihn Musiker und Geräuschemacher Buddy Sacher aus seinem einsehbaren Kabuff. Das ist mehr als ein origineller Sidekick. Die Außenseiter sind in dieser auf die Katastrophe zusteuernden Welt die einzig empathischen Wesen. Porträtiert wird eine reaktionäre, dauergekränkte Gesellschaft, die – Uraufführung war 1932 – zwischen Bier, Schlackwurst, Misstrauen und Neid zu erschreckend vielem fähig ist.

Privattheatertage bis 3.7. an mehreren Hamburger Spielstätten, Programm unter www.privattheatertage.de