Hamburg. Die Stimme als größter Effekt: Die US-kanadische Sängerin zog bei ihrer Show in Hamburg 5000 Fans in ihren Bann.

  • Alanis Morissette verbreitet von der ersten Minute an Stimmung
  • Das Konzert in der Barclays Arena ist bestuhlt – doch es hält niemanden in den Sitzen
  • Eine Show, ein Konzert, ein Ereignis

Krawumm! Die Fans von Alanis Morissette auf dem Raucherbalkon der Barclays Arena zucken zusammen oder ducken sich sogar, als Rammstein gegenüber im Volksparkstadion die Knallbonbons zündet. Drinnen in der Arena hat man am Dienstag fast das Gefühl, in einem Schutzraum zu sein. Hier wird Emotion 90 Minuten lang im Mittelpunkt stehen, obwohl auch Alanis Morissette keine Leisetreterin ist.

Geduld war nicht nur bei der Anfahrt das Stichwort für die 5000 Fans der US-kanadischen Sängerin und Schauspielerin, die 1995 mit ihrem dritten Album „Jagged Little Pill“ zum Alternative-Rock-Superstar aufgestiegen war. Zwischen „Havoc And Bright Lights“ 2012 und „Such Pretty Forks In The Road“ 2020 erschien kein Album, und in Hamburg war sie zuletzt vor zehn Jahren im trutschigen CCH 1 zu erleben. Wobei Alanis schon von ihrer Kindheit an mit Missbrauch, Depressionen, Betrug und als Mutter von drei Kindern auch mit jahrelangen postpartalen Stimmungskrisen zu kämpfen hatte. Da sei ihr jede Pause, die sie brauchte, gegönnt.

Alanis Morissette in Hamburg zieht Publikum aus den Sitzen

Vieles davon hat sie in ihrer Musik verarbeitet oder zumindest beschrieben, und das hob sie vor allem in den 90ern aus der Masse hinaus und machte sie zur internationalen Identifikationsfigur. Und die zieht das Publikum im bestuhlten Saal komplett aus den Sitzen, als sie zu „All I Really Want“ mit sirrender Mundharmonika auf die Bühne kommt.

Sofort hat sie die Reihen gefangen, und auch wenn sich in den Jahren vieles verändert hat, ist sie bei „Hand In My Pocket“ immer noch die Frau, die in alten Video- und Filmausschnitten auf der Leinwand gezeigt wird. Sie schreitet und tanzt jeden Meter Bühnenbreite und Bühnentiefe ab, hin und herwogend wie ein einzelner Weizenhalm im Wind, und geht völlig in ihrer Musik auf. Soweit, dass sie kaum ein Wort an das Publikum verliert, aber sie ist sehr bedacht, trotzdem auch die toten Winkel an den Bühnenseiten zumindest mit Blicken und Gesten zu erreichen.

Alanis Morissette dreht bei Hamburg-Konzert völlig durch

Ihre Band und das spartanische Lichtprogramm agieren unauffällig und zweckdienlich, trotzdem hätte man sich die Bestuhlung sparen können. Vom Anreisestress oder bei einigen auch dem Ärger, dass ihre Karten im (abgesperrten) Oberrang auf „bessere Plätze“ verlegt wurden, wie auf dem Balkon diskutiert wird, ist nichts zu spüren. Die nicht immer komplett ausgespielten Songs, „Head Over Feet“, „Not The Doctor“ und das inbrünstig mitgesungene „Ironic“ haben eine wohltuende, erlösende Wirkung.

Dabei ist besonders der exzellente Gesang von Alanis Morissette hervorzuheben, der einen bei „Sympathetic Character“ und „Smiling“ geradezu in die nächste Welt schickt. Auch Morissette dreht im Wortsinn völlig durch und wirbelt minutenlang im Kreis, bis sie schwindelnd zusammensinkt. Es macht nicht den Eindruck, dass das nur ein Teil einer Show ist.

Show, Konzert, Ereignis? Alles muss ein Ende haben, leider. Nach dem Hit „You Oughta Know“ und drei Zugaben heißt es „Thank U“. Draußen steigen Rauchsäulen und Flak-Scheinwerfer aus dem Volksparkstadion. Gedröhne und Gebrülle. Aber Alanis Morissette hält eine schützende Hand über ihre Fans. Danke.