Hamburg. Übergroß, überlaut, überbordend – und auf jeden Fall mit jeder Menge Feuer: Dass die Songs dabei kaum interessieren – geschenkt.

  • Rammstein ist erfolgreicher, lauter – und vorhersehbarer als die meisten anderen deutschen Bands
  • Formal erinnern die Auftritte der Band ans „Théâtre du Grand Guignol“ – dem Horrortheater der "großen Kasperle" aus dem 19. Jahrhundert
  • Die Songs spielen vor lauter Show kaum noch eine Rolle – aber das macht nichts

Was Rammstein sind: die international mit großem Abstand erfolgreichste deutschsprachige Rockband. Was Rammstein sicher nicht sind: Nazis. Der Vorwurf, aufgekommen Mitte der Neunzigerjahre angesichts der brachialen Rhythmen, des Spiels mit faschistischer Symbolik in Videos und Artwork sowie der urdeutsch geschnarrten Texte, wurde mittlerweile mehrfach widerlegt; nicht zuletzt mit dem Text zu „Links 2, 3, 4“ stellte die Band schon 2001 klar, wo sie politisch steht. Auf ihrem Konzert im Hamburger Volksparkstadion spielen Rammstein „Links 2, 3, 4“ gleich als dritten Song, damit auch jeder kapiert, was Sache ist.

Und das ist ein Problem.

Rammstein Hamburg: Das Horrortheater der großen Kapserle

Weil es so offensichtlich ist. Niemand wirft dem Sextett heute noch ernsthaft eine Tendenz nach rechts vor, Rammstein sind längst angekommen im Rock-Mainstream und im Kulturestablishment, der Philosoph Slavoj Zizek beschäftigt sich mit ihrer Musik, 2018 war Sänger Till Lindemann an der Produktion „Hänsel und Gretel“ am Thalia Theater beteiligt. Aber trotzdem dröhnt „Sie woll’n mein Herz am rechten Fleck / Doch seh ich dann nach unten weg / Da schlägt es links“ unter rot flatternden Fahnen von der Bühne im Volksparkstadion, als ob man noch etwas verdeutlichen müsste. Das sind Rammstein 2022 eben auch: Eine Band, bei der immer alles überdeutlich ist.

In Paris gab es um die Jahrhundertwende das „Théâtre du Grand Guignol“, das „Theater des großen Kasperle“. Gezeigt wurden Horrorgeschichten, Morde, Vergewaltigungen, Gruselstücke, möglichst spektakulär inszeniert, möglichst schockierend. Wirklichen Einfluss auf die Bühnenkunst hatten die Grand-Guignol-Stücke nicht, dazu waren sie zu sehr auf den Effekt hin gebaut, zu grob und zu offensichtlich, auf lange Sicht waren sie zu ermündend. Aber beispielsweise das Splatterkino hat viel vom Grand Guignol gelernt. Ebenso wie die Rock-Ästhetik von Rammstein. Was sich freilich bei Rammstein ebenfalls beobachten lässt, ist ein ähnlicher Niedergang wie beim Grand Guignol. Je länger die 1994 aus den DDR-Punks Feeling B hervorgegangene Band aktiv ist, umso stärker langweilt die ewige Wiederholung der gleichen Schockformeln.

Rammstein: Man bekommt was für sein Geld – und weiß auch ganz genau, was

Aber umso perfekter ist auch die Inszenierung. Im (sowohl Dienstag als auch Mittwoch ausverkauften) Volksparkstadion ist eine riesige Bühnenkathedrale aufgebaut, aus der im Laufe des Abends alles gefeuert wird, was die avancierte Bühnentechnik hergibt. Wer 132,35 Euro für die besten Plätze gezahlt hat, der bekommt auch was für sein Geld. Nur dass er eben schon im Voraus weiß, was er bekommt.

Für den stolzen Eintrittspreis darf man in einen Bereich namens „Feuerzone“, direkt vor der Bühne. Der heißt so, weil einem die Pyrotechnik hier fast die Augenbrauen absengt. Pyrotechnik, das war immer schon ein wichtiges Element von Rammstein-Shows, mittlerweile ist sie aber perfektioniert, bis zu kunstvollen Feuerwerkschoreografien, bei denen Raketen über die Köpfe des Publikums auf ein Gerüst geschossen werden, wo sie weitere Raketen auslösen – man könnte einen Großteil des Abends mit offenem Mund in den Himmel starren und staunen.

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Man würde dabei allerdings verpassen, was sonst noch so auf der Bühne passiert. Als begnadete Entertainer sind insbesondere Sänger Lindemann und Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz bekannt, im Volksparkstadion werden zu den Songs aber richtige kleine Szenen inszeniert. Bei der Kannibalismus-Hymne „Mein Teil“ kocht Lindemann Lorenz in einem übergroßen Bottich, im abgründigen „Puppe“ rollt ein riesiger Kinderwagen auf die Bühne, und was da drin passiert, verwandelt sich in einer klug geschnittenen Mischung aus Live-Video und vorproduzierten Szenen in beeindruckenden Horror. Zumindest, bis der Kinderwagen abgefackelt wird. Feuer geht bei dieser Show ohnehin immer.

Rammstein Hamburg: Die Songs interessieren eigentlich kaum

Was dabei allerdings kaum interessiert, ist die Musik. Die besteht im Grunde aus der ständigen Abwechslung von zackigen Comedy-Rockern („Radio“, „Du riechst so gut“) und großem Pathos („Zeit“, „Mein Herz brennt“). Dabei geht ein wenig unter, wie raffiniert diese Songs oft geschrieben sind. Das hört man nur in Ausnahmefällen, bei den arabesken Samples in „Sehnsucht“, bei dem Überhit „Engel“, der als Chorgesang mit den französischen Pianistinnen Naïri Badal und Adélaïde Panaget (die als Support Duo Jatekok gnadenlos untergingen) performt wird. Und vor allem bei „Deutschland“, das zunächst von Leadgitarrist Richard Kruspe als abstrakte House-Version gespielt wird. Und wenn schließlich die sägenden Gitarren und die stampfenden Drums einsetzen, ist auch dem letzten Stiernacken im Publikum das „Doitschland“-Grölen vergangen.

Wobei: Textlich geht „Deutschland“ als stabil antifaschistisch durch. Eigentlich kann man den Song gar nicht als Feier der Nation missverstehen. Aber das ist eben das Problem der Rock-Kasperle von Rammstein: Auch wenn man gar nichts missverstehen kann, setzen sie trotzdem auf Eindeutigkeit. Dass diese Grand-Guignol-Show großen Spaß macht, wenn man sich daran nicht stört – geschenkt