Hamburg. Der Brite und seine Band spielten im Hamburger Stadtpark ein grandioses Konzert – mit Aufforderung zum wild Tanzen und Durchdrehen.
Jamie Cullum blickt etwas skeptisch auf die bedrohliche Wolkenwand, die über dem Stadtpark aufgezogen ist. "Wer war damals dabei, als es wie aus Kübeln geschüttet hat?", fragt er. Viele Arme werden hochgereckt. 2013 hatte der britische Sänger, Pianist und Entertainer an gleicher Stelle ein grandioses Regen-Konzert gegeben und die Show kurzfristig mit "Singin' In The Rain" und Rihannas "Umbrella" eröffnet. Die Stimmung war trotz der widrigen Umstände ausgelassen und euphorisch.
Hamburg liebt Jamie Cullum und das weiß der Brite. Dieses Mal tröpfelt es nur ein bisschen und er kann sein Konzert mit der Cole-Porter-Nummer "I Get A Kick Out Of You" fortsetzen, aber im Zugabenteil kommt er noch mal auf diesen auch für ihn denkwürdigen Auftritt zurück: Er spielt ein paar Takte von "Singin' In The Rain", lobt sein Hamburger Publikum als das beste der Welt und improvisiert ein "Hamburg"-Lied.
Jamie Cullum im Stadtpark: Ein Konzert wie ein "Mixtape"
Cullum, inzwischen 42 Jahre alt, ist in der Hansestadt bei all seinen Konzerten abgefeiert worden, seit er im Mai 2004 sein hiesiges Debüt im Gruenspan gegeben hat. Ob in der Laeiszhalle, im Stadtpark oder beim Elbjazz – jedes Mal hat das in Essex geborene Multitalent das Auditorium zum Ausrasten gebracht. Das ist bei diesem x-mal verschobenen Auftritt nicht anders.
Bei Nina Simones "Sinnerman" fordert er seine Zuschauer auf, wild zu tanzen und durchzudrehen. Nichts leichter als das, denn die 4000 im ausverkauften Stadtpark-Rund sind an diesem warmen Sommerabend in bester Party-Stimmung. Etwas Glück hat Cullum, als er einen Fan aus der ersten Reihe auf die Bühne zieht, der mit ihm und der Band tanzen soll. Der schlägt vor Begeisterung erst mal ein Rad und feuert das Publikum damit noch mehr an.
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Jamie Cullum: Der "Sinatra in Turnschuhen" im Stadtpark
Einer der bekanntesten Songs von Jamie Cullum heißt "Mixtape" und stammt vom Album "The Pursuit". Auch Cullums Konzerte sind wie Mixtapes, die man in analogen Zeiten für Menschen aufgenommen hat, die einem besonders am Herzen lagen. Im Lauf seiner mehr als zwei Jahrzehnte dauernden Karriere hat Cullum sich mit vielen der gängigen Genres populärer Musik beschäftigt und sie in sein Repertoire integriert. Er kann swingen wie die Altmeister des Jazz und zeigt das bei "Twentysomething", einer Nummer vom Anfang seiner Karriere.
"Ich werde für das Lied sicher ausgelacht", sagt er, weil er das Twen-Alter lange verlassen hat. Die Kernaussage stimmt jedoch auch für den "Fortysomething". Sie heißt: "But I'm still having fun, and I guess that's the key." Spaß als Schlüssel zum Leben ist Cullums musikalisches Credo. In jeder Sekunde merkt man ihm und seiner siebenköpfigen Band an, mit wieviel Freude sie zusammen musizieren und sich gegenseitig anstacheln. Mittendrin der kleine Derwisch Cullum, der von seinem Piano an den Bühnenrand und zurück wetzt, manchmal auch auf dem Flügel steht, um noch mehr Energie aus seiner Band herauszukitzeln.
Ein sympathischer Rotzlöffel, der erwachsen geworden ist
"The Man", eine Coverversion der Killers, klingt bei Cullum, als sei sie mit dem fetten Bläsersatz in Memphis, der Heimat des Southern Soul, entstanden. Auch eine Gospel-Nummer hat er mit "Mankind" im Repertoire. Da umarmen sich alle Bandmitglieder und singen das Lied vom aktuellen Album "Taller" a capella. Auf diesen fast spirituellen Ausflug folgt mit "Don't Give Up On Me" die nächste funkige Soul-Nummer mit einem gehämmerten Beat auf dem Klavier. Die Kunst der Ballade beherrscht Jamie Cullum ebenfalls, wie er bei Dinah Washingtons "What A Difference A Day Makes" zeigt.
Cullum umgab früher die Attitüde des sympathischen Rotzlöffels. Er hat sich seine Spontanität und seine Jugendhaftigkeit bewahrt, doch der Spaßmacher hat auch eine erwachsene und reflektierende Seite.
Jamie Cullum im Stadtpark: Mehr als nur ein Showman
Die hatte er gleich zum Auftakt des zweistündigen Konzertes mit dem Song "The Age Of Anxiety" gezeigt. Für das Lied vom Album "Taller" gewann er 2020 den renommierten Ivor-Novello-Preis als besten Song. Darin denkt Cullum, Vater von zwei Töchtern, über seine Ängste nach, hadert mit dem Brexit und erinnert sich an Amy Winehouse, mit der er eng befreundet war. Ein balladesker Beginn des Konzertes, der eine andere Facette dieses außerordentlichen Musikers zeigt, der mehr ist als nur ein Showman. Dass er auch selbstironisch sein kann, zeigt die Nummer "Taller". Sie handelt davon, dass seine Frau Sophie Dahl, ein 1,84 Meter großes Ex-Model, einen halben Kopf größer ist als er.
Die 4000 Zuschauer im Stadtpark sind von dem "Sinatra in Turnschuhen", wie ihn britische Kritiker mal bezeichnet haben, restlos begeistert. Cullums uneitler und zugewandter Auftritt ist vielleicht genau das Richtige nach der anstrengenden Corona-Zeit, in der vor allem Distanz gefragt war. Die gibt es im Stadtpark nicht. Die Fans aus allen Altersgruppen stehen dicht an dicht, singen und tanzen nebeneinander und genießen dieses Musikfest aus Jazz, Pop und Soul.
Konzert im Stadtpark: Am Ende sitzt Jamie Cullum hinterm Flügel
Der Ausklang ähnelt dem Beginn. Am Ende der drei Zugaben sitzt Jamie Cullum allein hinter seinem Flügel und singt die Ballade "All At Sea". Auch sie hat schon zwei Jahrzehnte auf dem Buckel und stammt von Cullums Album "Twentysomethings", das ihm 2003 den internationalen Durchbruch brachte. Auch in dieser Ballade hängt er seinen Gedanken nach. "Just me and my thoughts", heißt es darin. Noch einmal ist Cullums Ernsthaftigkeit zu spüren. Doch geliebt wird er vor allem für seine Entertainer-Qualitäten. Entsprechend fröhlich strömen die Fans zum Ausgang. Und immer wieder ist die rhetorische Frage zu hören: "War das nicht toll?"